Mittwoch, 13. November 2013

Fragen und Lösungsvorschläge zur Energiewende

Auf welche Weise sollte die Politik ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Energiewende gestalten?

Um die ökologischen und energiepolitischen Ziele erfolgreich umzusetzen, gilt es die Säulen eines Gesamtkonzeptes zu bestimmen. Ihre Tragkraft basiert auf dem Gedanken, dass die Energiewende nicht nur als Pflicht und unter Kostenaspekten betrachtet werden sollte, sondern sich aus diesem historischen Prozess vielfältige neue Chancen für die zukünftige Wirtschaftskraft des Landes ergeben. Folgende Säulen identifizierte das E-Energy-Projekt moma in fünfjähriger Arbeit.

1.    Transformation und Gesellschaftliches Engagement
Der Transformation zu einem nachhaltigen Energiesystem muss alle Bereiche der Gesellschaft erfassen und erfordert eine interdisziplinäre Arbeit.

2.    Transparenz
Veränderungsprozesse erfordern Wissen über Zusammenhänge und wirtschaftliche Chancen für alle Beteiligten und nicht nur weniger Unternehmen.

3.    Subsidiarität und globale Verbundenheit
Chancen für vielfältige Beteiligte bieten die Erschließung von Energiepotentialen aus zentralen Lagen sowie auch die Erschließung dezentraler Erzeugungs- und Speicherpotentiale bei Bürgern und Unternehmen sowie Kommunen und Regionen. Dabei wird eine hohe Versorgungssicherheit weder allein durch ein zentralisiertes System noch durch regionale Egoismen entstehen. Ein zellularer Ansatz unterstützt dabei, Subsidiarität und globale Verbundenheit sowie Sicherheit und Datenschutz im Gesamtsystem zu erhöhen.

4.    Flexibilität
Vielfältige ausgleichende Flexibilitäten zur Beherrschung wachsender Komplexität mit neuer Vielfalt sowie mit neuen Vernetzungs- und Organisationsformen werden benötigt. Diese Flexibilisierung ist nur durch eine engere Interaktion zwischen Markt- und Netzakteuren zu erreichen, was gleichzeitig mit der Nutzung regionaler Flexibilitätsoptionen dazu dienen kann, die notwendigen Netzausbaukosten zu beschränken.

5.    Modernisierung
Das zukünftige Energiesystem erfordert die Modernisierung und erweiterte Vernetzung der Energieinfrastruktur (Smart Grids). Grundlage ist eine intelligente Gesamtkonzeption, die den Einsatz moderner und leistungsfähiger Informations- und Kommunikationslösungen voraussetzt.

6.    Regelwerk
Das aktuelle Marktdesign passt nicht zum Szenario eines nachhaltigen und dezentraleren Energiesystems. Ein zielgerichteter Umbau zu einer intelligenten Energieinfrastruktur sowie die Gestaltung energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen eines neuen Markt- und Systemdesigns fordern den Staat als Änderungskoordinator und Regelwerkgestalter.

Wie können die örtlichen Stromnetze so erneuert werden, dass mehr Produzenten dezentral ins Netz einspeisen können?

Das fossile und nukleare Energiesystem wurde insbesondere durch die zentralisierte Energiegewinnung sowie zentralisierte Steuerungsmechanismen und Systemverantwortung bestimmt. Daraus resultierte die gute Planbarkeit der Erzeugung. Das Verteilungsnetz stellte die benötigte Energie den Kunden unidirektional bereit, wobei der Kunde selbst im System eine passive Rolle spielte.
Ein hoher Beteiligungsrad am Energiesystem mit regionalen Ausgleich- und Austauschmechanismen wiederum führt zu einer zunehmenden Vielfalt von Energieflüssen unterschiedlichster Quellen und Energieträgerarten in der Verbindung von Strom, Wärme, Gas sowie den Treibstoffen des Verkehrs.
Dies ergänzt die zentrale Erzeugung zunehmend durch dezentrale Erzeugung, wodurch bidirektionale Energieflüsse entstehen.
Erneuerbare Energien bringen eine zunehmende Volatilität der Erzeugung in das Gesamtsystem, womit Planbarkeit abnimmt und neue Prognosemethoden erforderlich werden.
Die Kunden (Bürger und Unternehmen sowie Kommunen) im Energienetz als Erzeuger und damit als sogenannte Prosumenten wachsen in eine aktive Rolle, womit die Wertschöpfung in den Regionen gestärkt wird, aber gleichzeitig die Komplexität der Steuerung des Gesamtsystems sich erhöht.
Um diese Komplexität zu beherrschen entstehen neue Markt- und Netzfunktionen. Dies umfasst Demand Response-Verfahren zur anreizbasierten Verbrauchssteuerung, die Marktintegration erneuerbarer, dezentraler Energien in virtuelle Kraftwerke, neue Systemdienstleistungen im Verteilungsnetz in Interaktion mit Liegenschaften, neue Formen der dezentralen, automatisierten Regelung im Verteilungsnetz sowie neue Energiedienstleistungen (Smart Metering, Anlagen-Contracting, usw.). Diese Funktionen benötigen eine gemeinsame IKT-Infrastruktur im Smart Grid als Enabler dieser Funktionen.
Wer sollte den Aufbau der notwendigen IKT-Infrastruktur für neue Markt- und Netzmechanismen vornehmen?
Die Vielzahl der Akteure und der Komponenten in einem komplexen, vernetzten sowie zentral und dezentral verbundenen System erfordert das Vorantreiben einer standardisierten Kommunikation sowie die Sicherstellung von Informationssicherheit und Datenschutz. Die dafür notwendige IKT-Infrastrukur vernetzt eine kritische, gesamtgesellschaftliche Infrastruktur. Um die Versorgungssicherheit in gewohnter Weise auch unter den neuen Bedingungen zu erhalten, sollte die IKT-Infrastruktur durch einen verantwortlichen Akteur, wie den Verteilungsnetzbetreiber (VNB) als Betreiber einer intelligenten Energieinfrastruktur, gestaltet werden, wobei dies Dienstleister für die VNBs umsetzen können.
Gemeinsame, diskriminierungsfrei bereitgestellte Smart Grid-Infrastrukturen aus elektrotechnischer und informationstechnischer Vernetzung verbessern dabei gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit von Geschäftsmodellen verschiedener Marktakteure.

Wie kann der Netzausbau gelingen?

Unbestritten ist Netzausbau notwendig. Aber bisher wurde nicht der Netzausbau auf Basis gesamtsystemischer Ansätze im Verhältnis von Übertragungsnetzen und Verteilungsnetzen beim Szenario hoher Anteile dezentraler Erzeugung sowie Einsatz von Flexibilitäten im Spartenverbund von Strom, Gas und Wärme untersucht.
Bestimmt wurde der Ausbaubedarf in Übertragungsnetzen unter vorrangiger Betrachtung neuen lastferner Erzeugungskapazitäten wie Offshore-Windenergie. Bestimmt wurde unabhängig davon der Ausbaubedarf in Verteilungsnetzen mit Konzentration auf den Leitungsausbau ohne Berücksichtigung der Möglichkeiten von Smart Grids.
Bisher galt auch das Primat, dass Netzausbau die Aufnahme der maximalen Leistungsspitzen der volatilen erneuerbaren Erzeugung zu gewährleisten hat.
Untersuchungen ergaben aber, dass der Ausbaubedarf der Netze allein dadurch um 30 bis 40 % reduziert werden kann, wenn die Aufnahme der stärksten Leistungsspitzen an sehr wind- und sonnenreichen Tagen beschnitten wird und Erzeuger auf ungefähr 3 bis 5 Prozent der erzielbaren Energiemengen verzichten.
Es gilt also, das Optimum zwischen Netzausbau zu finden
-    im Verhaltnis von Übertragungsnetzen und Verteilungsnetzen,
-    im Verhältnis von Netzausbau in den Verteilungsnetzen und intelligenten Flexibilitätsmechanismen auf Grundlage von Informations- und Kommunikationstechnologie,
-    sowie in der verbundenen Steuerung der Erzeugung von Elektrizität, Gas und Wärme je nach Situation beim Dargebot erneuerbarer Energien.
Entsprechende gesamtsystemische Ansätze werden aktuell modelliert sowie simuliert und sind in Pilotzonen dem Praxistest zu unterziehen, um den optimierten Bedarf an Netzausbau zu bestimmen.
Der dann noch notwendige Netzausbau kann nur bei hoher Partizipation aller Interessenträger gelingen.
Dabei sollte zuerst das Primat gelten, Energie nahe am Nutzungsort zu erzeugen, regionale Energieflüsse zwischen Erzeugung, Speicherung und Verbrauch auszugleichen und dann die Verbundenheit durch hierarchische, bidirektionale Abstimmung zwischen Verteilungs- und Übertragungsnetzen im Gesamtsystem zu sichern.
Die Systemverantwortung bei Übertragungsnetzbetreibern wird damit zunehmend durch eine geteilte Systemverantwortung in der Interaktion von Übertragungsnetzen und Verteilungsnetzen ersetzt. Dies erfordert die Errichtung eines Energieinformationssystems zwischen beiden Seiten.

Wie kann der Kostenanstieg für Privathaushalte und Industrie gebremst werden? 

Die Diskussion um die steigenden Strompreise für Privathaushalte und Unternehmen wird aktuell leider sehr polemisch geführt, da bei genauer Betrachtung die deutlichere Kostensteigerung für Privathaushalte bei der Wärmeerzeugung und den Treibstoffen zu verzeichnen ist. Seit 2002 stiegen die durchschnittlichen Benzinpreise von 1 € auf 1,40 €. Für Gas musste der Verbraucher im Frühjahr 2000 bei etwa 33.450 kWh Leistung einen Preis von 1000 € bezahlen, während aktuell im Jahr 2003 für die gleiche Leistung ca. 1700 € fällig sind. Wir verzeichnen also einen permanenten Preisanstieg für fossile Energieträger, der sich in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen wird.
Ebenso werden in der Diskussion um die Förderungen für erneuerbare Energien die Subventionen und gesellschaftliche Kosten für das fossile Energiesystem genauso wir für die Kernenergienutzung ständig unterschlagen.
Gerechte Kostenvergleiche sind aufzustellen. Die Gesellschaft muss sich die Frage stellen, ob die hohe Partizipation an der Wertschöpfung im Energiesystem auf Grundlage dezentraler erneuerbarer Energien mit der Möglichkeit zur Schaffung neuer zukünftsfähiger Arbeitsplätze zu gestalten ist oder bisherige Strukturen zum Nutzen weniger Unternehmen für die Zukunft zementiert werden sollen und damit das Land eine Entwicklungschance mit weltweiter Ausstrahlung zur Stärkung seiner Exportkraft verspielt.
Unabhängig gilt es aktuelle Fehler im Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG), die zu unnötigen Kostensteigerungen bei der EEG-Umlage zu führen, zu korrigieren. Sinkende Börsenpreise, die den Erfolg der erneuerbaren Energien ausdrücken, dürfen nicht länger automatisch zur Erhöhung der EEG-Umlage führen.
Weiterhin ist das Thema der Ausnahmetatbestände für die EEG-Umlage dringend aufzunehmen. Die Energiewende darf nicht allein zu Lasten der Privathaushalte sowie klein- und mittelständische Unternehmen gehen, während sich ganze Industriezweige von der Beteiligung an der Transformation des Energiesystems verabschiedet haben. Dies gefährdet die Akzeptanz für den notwendigen und vielfältige Chancen bietenden Umgestaltungsprozess.
Bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass nur einzelne Stellschrauben eine deutliche Strompreiserhöhung verhindern können, wenn der politischer Wille dazu da ist.
-    Dies betrifft Ausnahmetatbestände bei der Industrie.
-    Dies betrifft eine EEG-Anpassung, die zwar die EEG-Förderung weiterführt, aber die falsche Logik beendet, dass bei sinkenden Börsenpreisen, die EEG-Umlagen immer weiter steigen.
-    Dies betrifft aber auch die Möglichkeit, dass der Staat auf Teile der Stromsteuereinnahmen verzichtet. Denn wer die Energiewende wirklich will, befördert dies auch durch die Gestaltung eines finanziellen Rahmens, der die Transformation des Energiesystems befördert.

Wie kann die Energiewende in den europäischen Kontext eingebunden werden?

Es gilt das europäische Verbundsystem zu sichern, da es mit seinen ausgleichenden Effekten dazu beiträgt, die Versorgungssicherheit in Europa auf einem sehr hohen Stand zu halten.
Gleichzeitig ist aber Subsidiarität zu gewähleisten, um den von der EU-Kommission selbst ausgerufenen Anspruch zur Entwicklung eines deutlich wettbewerblicheren Energiesystems gerecht zu werden.
Subisdiarität und Verbundenheit führen zum Vorschlag des zellularen Energiesystems mit regionalen Erzeugungs-, Speicherung- und Ausgleichmechanismen im Spartenverbund von Strom, Gas und Wärme sowie der hierarchischen Abstimmung zwischen den Interessen der Liegenschaften, der Verteilungsnetze in Kommunen, den Interessen regionaler Energiekonzepte, aber auch gesamtstaatlicher Interessen sowie europäischer Ansprüche in umfassenden Verbundnetzen.
Europa muss sich aber ebenso eine Entscheidung treffen. Wenn der EU-Kommissar für Energie nach neuen Förderungen für Steinkohle- und Kernkraftwerke ruft, ist dies kontraproduktiv zu den Zielen eines nachhaltigen Energiesystems bei hohem wettbewerblichen Anspruch zur Entfaltung vielfältiger wirtschaftlicher Akteure.
Europa wird mit einem gemeinsamen Energiesystem weiterhin erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Vielfalt der wirtschaftlichen Chancen zu entwickeln, lokales und regionales Handeln zuzulassen sowie dabei den Rahmen zu schaffen, dass globales Denken für alle Akteure interessant bleibt und zur Verbundenheit führt.
Die Umgestaltung des Energiesystems erfolgt auf dieser Basis von unten nach oben. Ein in Brüssel festgelegtes, starres System, das entgegengesetzt von oben nach unten aufgesetzt wird, führt zu keiner Akzeptanz und verhindert Partizipation breiter Interessengruppen zu Gunsten weniger Akteure.
Die Chance für neue Arbeitsplätze in Europa besteht in der Vielfalt.
In Deutschland wuchs mit dem seit 2010 stark wachsenden Anteil an dezentraler Erzeugung in den Verteilungsnetzen, Netzrückkäufen durch die Gemeinden sowie mit regionalen und lokalen Energiekonzepten in den Bundesländern, den Regionen und Kommunen aber auch bei den Bürgern und Unternehmen in Verbindung mit ihren Liegenschaften die Erkenntnis, dass im Kern auch die Fragestellung zu beantworten ist, wo die Energiewende stattfindet.
Mit dem breiten Engagement für die Energiewende und der damit verbundenen hohen Zustimmungsrate bei der Bevölkerung hat Deutschland die einmalige Chance, in Europa Impulsgeber für den notwendigen Umnau des Energiesystems zu sein.
Mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten einer hohen Beteiligung erhöht sich gleichzeitig die Diversifizierung der Energieangebote zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit gegenüber zentralen, angreifbaren Systemen, die eventuell effizienter im Meer und in Nordafrika Energie gewinnen, aber Vielfalt einschränken.


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