Freitag, 9. Februar 2018

Naturstromspeicher Gaildorf



Naturstromspeicher Gaildorf: © Max Bögl Wind AG. 2017

Dezentralität, Partizipation und Flexibilität durch Sektorenkopplung – grundlegende Merkmale der Energiewende finden ihre Realisierung im Naturstromspeicher Gaildorf.

Südlich von Schwäbisch Hall ragen bei Gaildorf auf einem Gebirgszug der Limpurger Berge vier Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von 178 m aus der Landschaft. Bei einem Rotordurchmesser von 137 m hält eine der vier Anlagen seit Herbst 2017 den Höhenweltrekord von 246,5 Meter.  Die Maximalleistung von 13,6 Megawatt in der Summe aller Anlagen gekoppelt mit einem Pumpspeicherkraftwerk von 16 Megawatt Leistung ermöglicht die Produktion von bis zu 42 Gigawattstunden, ausreichend für eine Stadt mit 10.000 Vierpersonenhaushalten. Die Anlagen können im Falle externer Netzausfälle die Region als autonome Energiezelle bis zu vier Stunden mit Strom versorgen. Dieser Weg der Gestaltung lokaler Energiekreisläufe – Dezentralität - befördert eigene Gestaltungsmöglichkeiten der Region und lokale Wertschöpfung. Die Beteiligung an den Möglichkeiten Erneuerbarer Energien – Partizipation – schafft Akzeptanz für die Energiewende.  Diese These wird vom Projekt Naturstromspeicher Gailberg gestützt. Vor dem Start des Vorhabens wurden die Bürger erfolgreich um ihre Zustimmung gebeten. Natürlich gibt es auch längere Phasen, in denen der Wind nur schwach weht oder Windstille herrscht, somit die Anlagen auch in der Verbindung mit dem Pumpspeicherkraftwerk nicht genügend Strom liefern. Insofern bleibt Gaildorf Teil des vernetzten Energiesystems Deutschlands, bildet eine Zelle im Energieorganismus, die regional selbständig agiert und überregional verbunden optimiert.

Die Kopplung der anscheinend gegenläufigen Zielrichtungen zwischen Regionalität und einem überregionalen Verbund sowie die schwankende Verfügbarkeit der Erneuerbaren Energien Wind und Sonne erfordert ein System, das sich ändernden Situationen elastisch und zeitnah anpassen kann – Flexibilität.

Die den Erfolg der Energiewende bestimmenden Facetten Dezentralität, Partizipation und Flexibilität bestimmen die Architektur des Gesamtsystems in Gaildorf, die unter den Überschriften Naturwärmespeicher, Naturstromspeicher und Naturversorgung begreifbar wird. Komfortbedürfnisse der Menschen nach Wärme und Nutzenergie auf Basis von Strom verbinden sich mit einer dafür notwendigen naturverbundenen Energieversorgung.

Wärmespeicher schaffen die notwendige Flexibilität einer Energieversorgung auf Basis schwankender Angebote. Der Naturwärmespeicher verzichtet auf die Errichtung neuer technischer Wärmespeicher und nutzt stattdessen die Wärmespeicherfähigkeit von Wasser in Brunnen, Teichen oder Seen je nach Bedarf des jeweiligen Wärmenutzers. Dezentrale Lösungen basieren auf dem Umfeld beteiligter Nutzer. Ein vereister Teich wird somit im Winter mit der in ihm gespeicherten Energie zum Wärmevorrat.

Die besondere Herausforderung der Energiewende besteht darin, durch Erneuerbare Energien schwankende Stromangebote mit den Strombedarfen in Haushalten, Gewerbe und Industrie in Übereinstimmung zu bringen. Stromspeichertechnologien gewinnen somit zunehmend an Bedeutung. Die innovative und naturverbundene Lösung in Gaildorf besteht darin, Windenergieanlagen mit dem Pumpspeicherkraftwerk direkt zu verbinden. Dabei befinden sich die oberen Wasserbecken fast unsichtbar in den Fundamenten der Windenergieanlagen. Als Unterbecken wird ein natürlicher See im Tal zu Fuße des Gebirgszuges genutzt. Kurzfristige Schwankungen bei der Stromerzeugung durch die Windanlagen können somit lokal ausgeglichen werden, um weite Transporte elektrischer Energie über die Stromnetze soweit wie möglich durch dezentrale, flexible Handlungsmöglichkeiten zu reduzieren.

Zukünftig gewinnt die Sektorenkopplung der für Menschen wichtigsten Endenergieformen Wärme und Strom zur Schaffung der notwendigen Flexibilität des Energiesystems zunehmend Bedeutung. Der lokale Energiekreislauf schafft Autonomie sowie damit regionale Handlungsmöglichkeiten und Wertschöpfung. Eine autonome Region bleibt mit dem externen, überregionalen Stromsystem verbunden, da dies Grundlage für Versorgungssicherheit und gegenseitige Unterstützung ist. Aber Ferntransporte können reduziert werden. Dies wiederum ist ein Beitrag, um den Ausbau Erneuerbarer Energien zu beschleunigen, ohne im Netzausbau den Engpass zu finden. In Gaildorf kann eine mögliche Kopplung vom Naturwärmespeicher mit dem in die natürlichen Gegebenheiten eingeordneten Naturstromspeicher die Naturversorgung für die Menschen der Region umfassen.
Die für die Bevölkerung von Gaildorf sichtbare Beteiligung an der Energiewende sowie die Naturverbundenheit der Lösung schafft Akzeptanz für die veränderte Gestaltung von Energiekreisläufen.

Andreas Kießling, 09. Februar 2018