Während das bisherige Energiesystem mit fossilen und
nuklearen Energieressourcen auf einer zentralen Logik basiert, eröffnen die
erneuerbaren Energien vielfältige Chancen für alle gesellschaftlichen Kräfte,
insbesondere für die Bürger, mittelständische Unternehmen, Kommunen und
Regionen. Dieser Fakt führt zu vielen Formen dezentraler Erzeugung von
elektrischer Energie bis in die Gebäude.
Dies eröffnet wiederum neue Möglichkeiten der Gestaltung von
Gebäuden und Landschaften, die als energetisch aktive Systeme eigenständig Energie
gewinnen, speichern und nutzen, Energieflüsse optimieren aber auch Energie
austauschen können. Eine bisher vorrangig statische Betrachtung im gestalterischen
Prozess gewinnt zunehmend eine dynamische Komponente. Die Gestaltung von
Energielandschaften erfordert deshalb eine neue Methodik, um die Gestaltung von
interagierenden Räumen (Gebäude, Siedlungsgebiete) als verbundene Prosumenten
im Energiesystem zu ermöglichen.
Damit entsteht ein deutlich komplexeres System in seiner
höheren Vielfalt, Verbundenheit und Organisiertheit als das bisher einfach strukturierte Energiesystem. Mit hoher Komplexität eines Systems, das
nicht mehr eindeutig in den Ergebnissen berechenbar ist, sondern eher ein
selbstorganisierendes, dynamisches System im metastabilen Zustand darstellt,
tut sich Technik aber heute noch schwer.
Technik zielt auf berechenbare, relativ einfache Systeme ab.
Komplexität als Grundlage sich entwickelnder dynamischer Systems basiert aber
auf Vielfalt und damit auf Differenzierung, die bezüglich ihrer Entwicklung
nicht mehr vollständig kontrollierbar ist.
Die bisherige Einfachheit entspricht der klassischen
physikalischen Herangehensweise.
Im physikalischen Reduktionismus gibt es keine Wirkungen,
außer den physikalisch erfassbaren.
Physik führt die Zerlegung in Einzelbestandteile, um dann
aus einem reduktionistischem Bild der Weltformel alles Geschehen zusammensetzen
zu können (determinierte Welt).
Heutige Überlegungen, basierend auf den Erkenntnissen der
Quantenphysik zur Verschränkung, führen zu einer Physik der Emergenz, in der aus
dem Zusammenwirken von Bestandteilen neue Eigenschaften entstehen, die aus den
Gesetzen der einzelnen Bauteile nicht ableitbar sind. Hieraus folgt die
Selbstorganisation.
Diese sehr abstrakte wissenschaftliche Betrachtung führt aber
zur praktischen Frage, ob wir in Bezug auf die Akzeptanzuntersuchungen bezüglich
der notwendigen Maßnahmen für die Energiewende einen sehr wichtigen Aspekt
nicht betrachten.
Die Akzeptanzfrage bei Veränderungsprozessen ist in der
Regel eine Betrachtung von Verfahren zur Abwägung von Interessen betroffener
Parteien in einem System, wobei Vorhaben im System oft durch Beteiligte eines übergeordneten
Systems organisiert werden (z.B. Stuttgart 21 entstand aus europäischen und
nationalen Aspekten und war nicht weitgehend aus den Notwendigkeiten Stuttgarts
organisiert).
Im übergeordneten System werden Vorhaben beschlossen, die im
eingebetteten kleineren System kaum lokale Nutzenaspekte besitzen, sondern der
breite Nutzen erst im übergeordneten System sichtbar wird [1]. Der Nutzen ist
im eingebetteten System nicht unbedingt offensichtlich. Dies gilt zum Beispiel
auch für die Diskussion zum Ausbau der Übertragungsnetze.
Wenn dann Vorhaben vom übergeordneten System vorrangig mit
Machtanwendung durchgesetzt werden, sind Akzeptanzprobleme vorprogrammiert.
Unter dieser einseitigen Interessenlage eines übergeordneten
Systems wird das Thema Beteiligung nur unter dem Aspekt der Möglichkeit zur Teilhabe
an der Genehmigungsdiskussion geführt. Man möchte nur Vorbehalte Betroffener abbauen
und den Nutzen für die Allgemeinheit hervorheben.
Wenn Beteiligung aber weiter gefasst wird und Selbstgestaltung
im eigenen System bedeutet, ist Akzeptanz für Notwendigkeiten einer Veränderung
bei Interessenträgern im System offensichtlich leichter zu erreichen.
Leider ist heute noch nicht zu sehen, dass Mechanismen zur
Akzeptanzerhöhung durch Beteiligung in Form der breiten wirtschaftlichen Mit-
und Selbstgestaltung eine große Rolle spielen. Hier besteht Handlungsbedarf.
Dieser Aspekt der Beteiligung (Partizipation) wurde
insbesondere hervorgehoben, als beim Forschungsministerium des Bundes vor einiger
Zeit der sozioökonomische Forschungsbedarf bei der Transformation des
Energiesystems bestimmt wurde.
In den heutigen Prozessen der Akzeptanzuntersuchung findet also
vorrangig die Gegenüberstellung der Wertvorstellungen der Protagonisten und
Betroffenen statt.
Ein anderer Ansatz wäre die Etablierung eines Systems, bei
dem die Wertvorstellungen aller Beteiligten eigenverantwortlich und
gleichberechtigt gestaltbar sind, aber ebenso Anreize vorhanden sind, so dass sich
ein Verbund subsidiärer Interessen organisch eingebettet in übergeordneten
Interessen entwickeln kann und somit ein selbstorganisierter Gesamtorganismus
entsteht. Dies ist aber weniger berechenbar und kontrollierbar, wobei wir
wieder am Anfang obiger Betrachtungen wären.
Wenn dies auf die Transformation des Energiesystems
übertragen wird, ergibt sich zwangsläufig die folgende Fragestellung.
Behalten wir das heutige Bild des reduktionistischen
Energiesystems mit zentraler Erzeugung und Steuerung aus den Übertragungsnetzen
mit kalkulierbarer Verantwortlichkeit bei wenigen Akteuren für das Gesamtsystem
und klaren Regeln zur Verteilung der Energie bei?
Oder können wir ein sehr diversifziertes, gleichzeitig
dezentral und überregional verbundenes Energiesystem mit einer hohen Vielfalt
von Akteuren entwickeln, die in ständiger Interaktion verbunden und mit einem
klaren Satz von Regeln organisiert sind, aber gleichzeitig hohe Freiheitsgrade
besitzen. Ziel eines diversifizierten Systems ist die gestalterische
Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren zur Eröffnung von breiten,
wirtschaftlich gleichberechtigten Chancen bei Bürgern, Unternehmen, Kommunen
und Regionen.
Der diversifizierte Ansatz in einem derartigen
Energieorganismus führt aber auch zu einem anderen Bild der Kontrollierbarkeit
der Entwicklung eines technischen Systems.
Der aktuelle Stand der Diskussion zur Architektur des
zukünftigen Energiesystems wird damit zunehmend auch zu einer Diskussion im
Rahmen der Technikphilosophie und gesellschaftlicher, nicht monetärer
Nutzensaspekte. Diese Diskussion ist nicht durch eine rein volkswirtschaftliche
Kosten-/Nutzen-Analyse zu führen.
Die wissenschaftliche Herausforderung für diesen abstrakten
Exkurs in den Nutzen dezentraler Energiesysteme wäre also zunehmend
Forschungsarbeiten in die Richtung zu entwickeln, die sich im Rahmen der
Technikentwicklung auf Basis eines komplexen, sich dynamisch entwickelnden
Systems mit geringerer Kontrollierbarkeit mit den philosophischen und
kulturellen Konsequenzen beschäftigen sowie auch in die Partizipationsforschung
eingehen.
[1] Kornwachs, K.: Expertise: Grundfragen der Technikakzeptanz. Ethische Probleme und
Methodenfragen. Bericht an den Lehrstuhl für Technikphilosophie, Berichte an
die Fakultät für Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik, PT-01/2011 BTU
Cottbus und Büro für Kultur und Technik, Argenbühl-Eglofs 2011, ISSN 14362929