Mittwoch, 31. Juli 2013

Das Energiesystem in Unordnung - Problem oder Chance - und was wir von der Entwicklung im World Wide Web lernen können


Der US-Botschafter a.D. John Kornblum sagte 2002 auf dem Wirtschaftsgipfel des Economic Forum Deutschland „Die Weltordnung ist zur Zeit in Unordnung. Unordnung fördert Kreativität und bringt Chancen mit sich.“
In analoger Weise möchte ich sagen. Das heutige Energiesystem ist in Unordnung. Auch dies führt aktuell zur vielfältiger Kreativität und neuen Chancen. Die neuen Chancen liegen insbesondere in einem System mit verteilter Verantwortung, dezentralen Chancen mit lokalen Handeln und überregionaler Verbundenheit sowie einem differenzierten und kohärenten Mehrebenen-Ansatz bezüglich der Regelung des Systems. Dies führt weg von der heutigen linearen Wertschöpfungskette mit wenigen Unternehmen hin zu einem ausgedehnten Wertschöpfungsnetzwerk mit Chancen bei den Bürgern, den klein- und mittelständischen Unternehmen, den Kommunen und Regionen sowie den Stadtwerken und Regionalversorgern als Gestalter smarter Energieinfrastrukturen. Dies schafft vielfältige Möglichkeiten zur Gestaltung von Energie-Communities im Rahmen neuer Formen der Raum- und Landschaftsgestaltung.

Einen analogen Prozess erlebten wir in den letzten 20 Jahren mit der Gestaltung des World Wide Web.
Das zitiere ich nachfolgend sinngemäß aus einem Plakat der Gesellschaft der Informatik zum 20-jährigen Jubiläum der ersten Webseite im World Wide Web http://info.cern.ch.

„Nachdem das Internet schon seit den 60-er Jahren existierte, wurde Ende der 80-er Jahre mit dem Vorschlag in Cern von Tim Berners-Lee unter den Bedingungen eines verteilten Arbeitens den Austausch von Informationen zwischen Wissenschaftern zu vereinfachen, die Grundlage für eine rasante Entwicklung gelegt.
Mit der neuen Seitenbeschreibungssprache HTML, dem Transferprotokoll HTTP sowie der universellen Addressierungsmethode (heute URL) entwickelte er auch den ersten Webbrowser sowie 1990 den ersten Webserver. Die erste Webseite der Welt ging dann Anfang 1993 frei zugänglich online. Nachfolgend gründete er das World Wide Web Consortium (W3C) und machte sich dafür stark, für das Web nur patentfreie Standards zu verwenden.
Mit seiner Vision, das Wissen der Menschheit durch Vernetzung und Dezentralisation frei zugänglich zu machen, revolutionierte Berners-Lee die Welt.“

Heute schlagen wir die stark verteilte Energiegewinnung sowie die verteilte Steuerung des Energiesystems im Rahmen eines Mehrebenen-Ansatzes vor. Genauso wie vor 20 Jahren der Erfolg des World Wide Web noch nicht vorherzusehen war, erfährt der neue Systemansatz, der in der Methapher zellularer Energieorganismus beschrieben wird, oft noch skeptische Betrachtung. Aber ebenso wird uns das intelligente Energiesystem in 20 Jahren mit seiner Vielfalt an Möglichkeiten und Geschäftsmodellen überraschen.

20 Jahre umfassen gerade ein halbes Berufsleben. 20 Jahre umfassen aber gleichzeitig Zeit  genug, einen dramatischen Wandel in der Gesellschaft einzuleiten, mit Chancen, von denen selbst die größten Visionäre zu Beginn kaum zu träumen wagten. Dies sollte man sich immer vergegenwärtigen, wenn man Dinge nur aus dem heutigen Blickwinkel als richtig oder falsch einstufen möchte.

Donnerstag, 25. Juli 2013

Breite Beteiligung als Grundlage für den Erfolg der Energiewende


Während das bisherige Energiesystem mit fossilen und nuklearen Energieressourcen auf einer zentralen Logik basiert, eröffnen die erneuerbaren Energien vielfältige Chancen für alle gesellschaftlichen Kräfte, insbesondere für die Bürger, mittelständische Unternehmen, Kommunen und Regionen. Dieser Fakt führt zu vielen Formen dezentraler Erzeugung von elektrischer Energie bis in die Gebäude.
Dies eröffnet wiederum neue Möglichkeiten der Gestaltung von Gebäuden und Landschaften, die als energetisch aktive Systeme eigenständig Energie gewinnen, speichern und nutzen, Energieflüsse optimieren aber auch Energie austauschen können. Eine bisher vorrangig statische Betrachtung im gestalterischen Prozess gewinnt zunehmend eine dynamische Komponente. Die Gestaltung von Energielandschaften erfordert deshalb eine neue Methodik, um die Gestaltung von interagierenden Räumen (Gebäude, Siedlungsgebiete) als verbundene Prosumenten im Energiesystem zu ermöglichen.
Damit entsteht ein deutlich komplexeres System in seiner höheren Vielfalt, Verbundenheit und Organisiertheit als das bisher einfach strukturierte Energiesystem. Mit hoher Komplexität eines Systems, das nicht mehr eindeutig in den Ergebnissen berechenbar ist, sondern eher ein selbstorganisierendes, dynamisches System im metastabilen Zustand darstellt, tut sich Technik aber heute noch schwer.
Technik zielt auf berechenbare, relativ einfache Systeme ab. Komplexität als Grundlage sich entwickelnder dynamischer Systems basiert aber auf Vielfalt und damit auf Differenzierung, die bezüglich ihrer Entwicklung nicht mehr vollständig kontrollierbar ist.

Die bisherige Einfachheit entspricht der klassischen physikalischen Herangehensweise.
Im physikalischen Reduktionismus gibt es keine Wirkungen, außer den physikalisch erfassbaren.
Physik führt die Zerlegung in Einzelbestandteile, um dann aus einem reduktionistischem Bild der Weltformel alles Geschehen zusammensetzen zu können (determinierte Welt).
Heutige Überlegungen, basierend auf den Erkenntnissen der Quantenphysik zur Verschränkung, führen zu einer Physik der Emergenz, in der aus dem Zusammenwirken von Bestandteilen neue Eigenschaften entstehen, die aus den Gesetzen der einzelnen Bauteile nicht ableitbar sind. Hieraus folgt die Selbstorganisation.

Diese sehr abstrakte wissenschaftliche Betrachtung führt aber zur praktischen Frage, ob wir in Bezug auf die Akzeptanzuntersuchungen bezüglich der notwendigen Maßnahmen für die Energiewende einen sehr wichtigen Aspekt nicht betrachten.
Die Akzeptanzfrage bei Veränderungsprozessen ist in der Regel eine Betrachtung von Verfahren zur Abwägung von Interessen betroffener Parteien in einem System, wobei Vorhaben im System oft durch Beteiligte eines übergeordneten Systems organisiert werden (z.B. Stuttgart 21 entstand aus europäischen und nationalen Aspekten und war nicht weitgehend aus den Notwendigkeiten Stuttgarts organisiert).
Im übergeordneten System werden Vorhaben beschlossen, die im eingebetteten kleineren System kaum lokale Nutzenaspekte besitzen, sondern der breite Nutzen erst im übergeordneten System sichtbar wird [1]. Der Nutzen ist im eingebetteten System nicht unbedingt offensichtlich. Dies gilt zum Beispiel auch für die Diskussion zum Ausbau der Übertragungsnetze.
Wenn dann Vorhaben vom übergeordneten System vorrangig mit Machtanwendung durchgesetzt werden, sind Akzeptanzprobleme vorprogrammiert.
Unter dieser einseitigen Interessenlage eines übergeordneten Systems wird das Thema Beteiligung nur unter dem Aspekt der Möglichkeit zur Teilhabe an der Genehmigungsdiskussion geführt. Man möchte nur Vorbehalte Betroffener abbauen und den Nutzen für die Allgemeinheit hervorheben.

Wenn Beteiligung aber weiter gefasst wird und Selbstgestaltung im eigenen System bedeutet, ist Akzeptanz für Notwendigkeiten einer Veränderung bei Interessenträgern im System offensichtlich leichter zu erreichen.
Leider ist heute noch nicht zu sehen, dass Mechanismen zur Akzeptanzerhöhung durch Beteiligung in Form der breiten wirtschaftlichen Mit- und Selbstgestaltung eine große Rolle spielen. Hier besteht Handlungsbedarf.
Dieser Aspekt der Beteiligung (Partizipation) wurde insbesondere hervorgehoben, als beim Forschungsministerium des Bundes vor einiger Zeit der sozioökonomische Forschungsbedarf bei der Transformation des Energiesystems bestimmt wurde.

In den heutigen Prozessen der Akzeptanzuntersuchung findet also vorrangig die Gegenüberstellung der Wertvorstellungen der Protagonisten und Betroffenen statt.
Ein anderer Ansatz wäre die Etablierung eines Systems, bei dem die Wertvorstellungen aller Beteiligten eigenverantwortlich und gleichberechtigt gestaltbar sind, aber ebenso Anreize vorhanden sind, so dass sich ein Verbund subsidiärer Interessen organisch eingebettet in übergeordneten Interessen entwickeln kann und somit ein selbstorganisierter Gesamtorganismus entsteht. Dies ist aber weniger berechenbar und kontrollierbar, wobei wir wieder am Anfang obiger Betrachtungen wären.

Wenn dies auf die Transformation des Energiesystems übertragen wird, ergibt sich zwangsläufig die folgende Fragestellung.
Behalten wir das heutige Bild des reduktionistischen Energiesystems mit zentraler Erzeugung und Steuerung aus den Übertragungsnetzen mit kalkulierbarer Verantwortlichkeit bei wenigen Akteuren für das Gesamtsystem und klaren Regeln zur Verteilung der Energie bei?
Oder können wir ein sehr diversifziertes, gleichzeitig dezentral und überregional verbundenes Energiesystem mit einer hohen Vielfalt von Akteuren entwickeln, die in ständiger Interaktion verbunden und mit einem klaren Satz von Regeln organisiert sind, aber gleichzeitig hohe Freiheitsgrade besitzen. Ziel eines diversifizierten Systems ist die gestalterische Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren zur Eröffnung von breiten, wirtschaftlich gleichberechtigten Chancen bei Bürgern, Unternehmen, Kommunen und Regionen.

Der diversifizierte Ansatz in einem derartigen Energieorganismus führt aber auch zu einem anderen Bild der Kontrollierbarkeit der Entwicklung eines technischen Systems.
Der aktuelle Stand der Diskussion zur Architektur des zukünftigen Energiesystems wird damit zunehmend auch zu einer Diskussion im Rahmen der Technikphilosophie und gesellschaftlicher, nicht monetärer Nutzensaspekte. Diese Diskussion ist nicht durch eine rein volkswirtschaftliche Kosten-/Nutzen-Analyse zu führen.
Die wissenschaftliche Herausforderung für diesen abstrakten Exkurs in den Nutzen dezentraler Energiesysteme wäre also zunehmend Forschungsarbeiten in die Richtung zu entwickeln, die sich im Rahmen der Technikentwicklung auf Basis eines komplexen, sich dynamisch entwickelnden Systems mit geringerer Kontrollierbarkeit mit den philosophischen und kulturellen Konsequenzen beschäftigen sowie auch in die Partizipationsforschung eingehen.


[1] Kornwachs, K.: Expertise: Grundfragen der Technikakzeptanz. Ethische Probleme und Methodenfragen. Bericht an den Lehrstuhl für Technikphilosophie, Berichte an die Fakultät für Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik, PT-01/2011 BTU Cottbus und Büro für Kultur und Technik, Argenbühl-Eglofs 2011, ISSN 14362929



Sonntag, 14. Juli 2013

Gesellschaftliche Kosten für Energie sowie der Nutzen einer diversifizierten und dezentralen Energiegewinnung auf der Basis erneuerbarer Energiequellen

Als Wissenschaftler ist man schon verwundert, welche polemischen Debatten unter einseitiger Sichtweise teilweise unter dem Label der Wissenschaft geführt werden.
Im Spiegel wird im Heft 12/2013 auf diese Weise eine Betrachtung zu den gesellschaftlichen Kosten der erneuerbaren Energien geführt.

Wer führt aber ehrlich eben diese Kosten in Bezug auf Kohlesubventionen, Förderungen zum Bau der Kernkraftwerke in der Vergangenheit, Kosten der Risikokostenübernahme durch die Gesellschaft sowie der ungeklärten Endlagerung auf?
Greenpeace hat zum Beispiel die Förderkosten für Kernenergie von 1950 bis 2010 auf 304 Mrd. € beziffert.
Außerdem wurden allein 2008 Kohlesubventionen in Höhe von 12,8 Mrd. € gezahlt.
Der aktuelle Versuch, Kostenbetrachtungen von Energieträgern für die Gesellschaft vorrangig für die Erneuerbaren zu führen, um Besitzstände zu erhalten, ist inzwischen offensichtlich.

Es ist natürlich richtig, dass in der Förderung der Erneuerbaren Deutschland eine Vorreiterrolle hatte und unser Land damit das Klima der Erde allein nicht rettet.
Aber gleichzeitig wurde durch Deutschland ein Umdenken in der Welt initiiert. Inzwischen unternehmen auch China und die USA starke Anstrengungen für erneuerbare Energien und für die dafür benötigte Infrastruktur.
Mit der eingenommenen Vorreiterrolle hat Deutschland die Chance für eine neue technologische Führungsposition, womit ein Beitrag für die zukünftige wirtschaftliche Stärke Deutschlands gelegt wird.

Zu beachten ist aber, dass die CO2-Reduzierung nicht allein der Treiber für den Ausbau der erneuerbaren Energien ist.
Wir können die über Hunderte Jahrmillionen entstandene Ressourcen der Welt nicht einfach innerhalb von wenigen Jahrhunderten verbrennen. Wir benötigen eine nachhaltige Energiewirtschaft für unsere Nachkommen.
Im Jahre 2050 wird die Weltbevölkerung das 5-fache der heutigen weltweiten Wirtschaftskraft erreicht haben. Dies mit konventionellen Energien anzugehen, ist der Todesstoß für die menschlichen Ressourcen.

Es geht weiterhin darum, dass 1 Milliarde Menschen in der Welt keinen Zugang zu Strom haben und dieses Gerechtigkeitsproblem nicht mit den konventionellen Energien zu lösen ist.
Die gesellschaftlichen Kosten für eine fossile und nukleare Energiewirtschaft sind in vielen Ländern der Welt nicht zu tragen.
Hier bieten die Erneuerbaren weltweit vielfältige neue Chancen., um sich von wenigen Weltkonzernen, die heute die globale Energiewirtschaft beherrschen, zu emanzipieren.

Auch in Deutschland geht es um die lokalen und regionalen Chancen der Energieerzeugung, die an jedem Ort möglich ist, im Gegensatz zu konzeptionellen Energien.
Dabei handelt es sich um die Neuaufteilung der Wertschöpfungskette von wenigen Unternehmen hin zur Wertschöpfung in den Kommunen und Regionen zusammen mit ihren Stadtwerken sowie bei den Bürgern und Unternehmen.
Dies war der eigentliche Treiber des Konzeptes im E-Energy-Projekt Modellstadt Mannheim.

Um dieses verteilte, komplexe System umzusetzen, benötigen wir Smart Grids im Spartenverbund (Strom, Gas, Wärme) unter Integration der Energieflüsse für den Verkehr als Grundlage der zukünftigen  Smart Cities.
Dies ist die eigentliche Chance für die Stadtwerke als Betreiber der zukünftigen modernen Infrastrukturen sowie als Gestalter regionaler Energiekonzepte.

Natürlich ist es richtig, dass wir durch die nur auf den Ausbau der Erneuerbaren gerichteten Subventionen, uns zu wenig um die Steuerung des Systems gekümmert haben, was nun zu einem hohen Handlungsdruck bei der Umgestaltung des Marktdesigns sowie bei intelligenten Netzen führt. Auch wurde zu wenig Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt. Insofern könnten wir beispielsweise schon einen viel höheren Wirkungsgrad bei Solarmodulen erreicht haben. Im reinen Kostenkampf zur Herstellung von Solarmoduln mit zu wenig Aufwendungen für Forschung und Entwicklung mussten deutsche Unternehmen ostasiatischen Herstellern unterliegen. Insofern ist ein Umbau in der Incentivierung von erneuerbare Energienanlagen notwendig. Aber dies ändert nichts an der obigen Begründung zum Leitsystem erneuerbare Energien.

Die Gasfraktion verlängert zwar den potentiellen Zeithorizont für konventionelle Energien. Aber dies ändert ebenso wenig an der obigen Begründung für eine nachhaltige, subsidiäre und diversifizierte Energiewirtschaft, die den heutigen Zentralismus beendet und Energie demokratisiert.

Natürlich kann Gas den Übergang zu Erneuerbaren unterstützen. Schnell steuerbare Gaskraftwerke können Flexibilitäten bereitstellen. Dazu ist in Deutschland sicher das Marktdesign anzupassen, damit solche Kraftwerke statt neuer Kohlekraftwerke gebaut werden.
Aber fossiles Gas wird langfristig nicht die Grundlage obiger gesellschaftlicher Veränderungsprozesse durch eine Energiewirtschaft mit breiter Beteiligung sein.
Die Rolle des fossilen Gases kann ersetzt werden durch die Bildung von Wasserstoff aus Windenergie für einen zukünftig wasserstoffgetriebenen Verkehr sowie die Methanisierung von Wasserstoff mittels des CO2 aus der Luft und damit bei der Verbrennung zu Wärme in Kraft-Wärme-Koppungs-Anlagen die CO2-neutrale Bilanz dieses Kreislaufes.