Dienstag, 3. Januar 2017

Zellulares Energiesystem (Zellularer Ansatz)

Definition

Der zellulare Ansatz beschreibt eine Komplexität reduzierende und Flexibilität sichernde Architektur für ein globales Energiesystem mit Energiewandlern, Transportinfrastruktur und Speichern im Verbund mehrerer Endenergiearten (Elektrizität, Wärme, Gas) zum vielfältigen Einsatz als Nutzenergie in Verkehr, Produktion, Technikbetrieb, Gebäudekomfort, usw., wobei das globale System in autonome und gleichzeitig verbundene Systeme zerlegt wird.


Hintergründe und Motivation

Bisher wurde das Energiesystem im globalen Ansatz überregionaler Verbundnetze mit getrennten Transportnetzen für Elektrizität, Gas und Öl, die durch regionale Wärmenetze ergänzt wurden, betrieben. Die Führung des Elektrizitätssystems erfolgte dabei im Rahmen nationaler Regelzonen in Systemverantwortung der Übertragungsnetzbetreiber, wobei Verteilnetzbetreiber die Energie unidirektional zum Energienutzer als passiver Verbraucher verteilten. Hohe Anteile dezentraler und volatiler Energiewandlung, bidirektionale Energieflüsse, Energiespeicherung sowie die Notwendigkeit der Flexibilisierung des Energiesystems durch Spartenkopplung von Elektrizität, Gas, Wärme und Verkehr erfordern aufgrund wachsender Komplexität neue Lösungen zur Systemarchitektur sowie die Systemmitverantwortung der Verteilnetzbetreiber. Eine Lösung zur Komplexitätsreduktion besteht in der Zerlegung eines Systems in selbständig regelbare Teilsysteme. Teilsysteme des Energieverbundsystems können als Energiezellen (kurz Zellen) betrachtet werden, die als autonomes System mit Komponenten zur Energiewandlung, Speicherung und Energienutzung sowie Energietransport beschrieben werden. Anforderungen zur Versorgungssicherheit, Flexibilität und Effektivität für jede Zelle begründen die Verbundenheit von Zellen als ein Energiesystem aus Energiesystemen. Für diese Verbindung von Zellen als Verbundsystem wird auch die Metapher Energieorganismus genutzt, in dem Prosumenten (Produzenten und Konsumenten) durch Eigenverantwortung und Mitwirkung in der Gemeinschaft sowie aktive Verteilnetzbetreiber im Zusammenwirken mit den globalen Akteuren der Ferntransportnetze agieren.

Erstmals erwähnt wird der zellulare Ansatz in [BKN2009], wobei dessen begriffliche Definition in [Kies2015] und im Rahmen der Spezifikation des Demonstrationsprojektes C/sells [Csells2015] weitergeführt wurde. Mit der Studie [PEF2016] wurden Netzmaßnahmen auf Basis des zellularen Ansatzes so kalkuliert, dass der optimale volkswirtschaftliche Vorteil in der Summe aller Akteure entsteht

Energiezellen können auf verschiedenen Aggregationsebenen definiert werden, wie zum Beispiel´
  • Wohnungen und Gewerbeeinheiten innerhalb von Gebäuden,
  • Liegenschaften als Gebäude sowie Gewerbe- oder Industrieareale,
  • Stadtquartiere (integrierter Bereich einer Ortschaft in gemischter Bebauung bezüglich Wohnen und Gewerbe mit gemeinsamen Infrastrukturen),
  • Ortschaft mit eigenem Verteilungsnetz oder Region mit Verbund von Verteilungsnetzen,
  • Region, Land und Staatengemeinschaft mit Regelzonen im Übertragungsnetz.
In diesen Ebenen können sowohl horizontale Verbindungen als auch vertikale Strukturen bestehen, die sich auch teilweise überlappen. Die Zellen bilden autonome Strukturen, die durch Energiekanäle sowie Kommunikationsschnittstellen mit ihrer Umgebung verbunden sind. Die Schnittstellen verbinden andere Zellen mit zellinternen Komponenten, wobei vereinbarte Prozesse und Protokolle die Wirtschaftlichkeit für alle Akteure erhöhen.

So entsteht einerseits die Vernetzung von Zellen auf gleicher Hierarchieebene mit regionalen Energieexport und -import sowie Informationsflüssen über horizontale Verbindungen dieser Ebene. Es entsteht aber auch eine Vernetzung über unterschiedliche Hierarchiestufen, wobei mehrere Zellen einer eingebetteten Ebene zu einer Zelle einer umfassenderen Ebene mittels vertikaler Verbindungen zusammengeführt werden. Die Zellen dieser neuen Ebene bilden wiederum Verbünde, die ebenso horizontale Verbindungen besitzen.

Während die horizontalen und vertikalen Verbindungen die bidirektionalen Energie- und Informationsflüsse zwischen den Zellen ermöglichen, sichert die Informationsinfrastruktur der Energienetze die Organisation der Energieflüsse sowohl innerhalb von Zellen sowie auch Zellverbünden als Gesamtsystem. Mit dieser Struktur ist durch Bildung von Zellverbünden über Systemebenen die Entwicklung eines Gesamtsystems möglich, in dem sich subsidiäre Energiekonzepte in lokalen Wohn- und Arbeitsumfeldern sowie in städtischen und regionalen Lebensräumen mit den Bestrebungen nach europäischen Lösungen zur umfassenden Raumentwicklung in interkontinentaler Verbindung nach Nordafrika und Asien integrieren.



Mit dieser Struktur ist durch Bildung von Zellverbünden über Systemebenen die Entwicklung eines Verbundsystems möglich, in dem sich subsidiäre Energiekonzepte in lokalen Wohn- und Arbeitsumfeldern sowie in städtischen und regionalen Lebensräumen mit den Bestrebungen nach europäischen Lösungen zur umfassenden Raumentwicklung in interkontinentaler Verbindung nach Nordafrika und Asien integrieren.

Aufbau einer Energiezelle

Die prinzipielle Struktur einer derartigen Zelle wurde in [VDE2015] spezifiziert, wobei dort der Begriff des Wandlers genutzt wurde. Das Energiesystem einer Zelle besteht grundsätzlich nur aus Energiewandlern, Energiespeichern und Transportinfrastrukturen. Um die Nutzung der technischen Kategorisierung von Energie in
  • Primärenergie (z.B. Solar, Wind, Bio, Wasser, Öl, Holz, usw.),
  • Endenergie (Elektrizität, Wärme, Gas wie Methan oder Wasserstoff) und
  • Nutzenergie (Antriebe, Schall, Licht, Informationstechnik, Kühlung, hydraulischer Druck)
abzubilden, werden folgende Kategorien zur Einordnung von Energiesystemkomponenten in der Energiezelle genutzt.
  • Netztechnik leitungsgebundener und -loser Transportinfrastrukturen zum Import und Export von Energie zwischen Zellumgebung und Zelle über die Zellgrenzen sowie zur Weiterverteilung innerhalb der Zelle,
  • Erzeugungswandler (i.A. Erzeuger), die über Transportinfrastrukturen zugeführte Primärenergie innerhalb der Zelle in eine der genannten Endenergieformen umwandelt,
  • Endenergiewandler zur Umwandlung zwischen den Endenergieformen Elektrizität, Wärme und Gas, um Flexibilität im Gesamtsystem unter Nutzung der verschiedenen Speicherpotentiale zu erhöhen,
  • Energiespeicher zur temporären Aufbewahrung der Endenergieformen bis zur Nutzung,
  • Lastwandler (Last oder Energienutzer benannt), der Endenergie in benötigte Nutzenergie wandelt
Zur Steuerung der Energieflüsse innerhalb der Zelle dient ein Kommunikationssystem. Dabei stellt ein Gateway als Smart Grid Verbindungspunkt die geschützte Interaktion mit der Umgebung und so mit anderen Zellen sicher. Der Verbund der Zellen wird durch eine koordinierende Integrationsplattform der Informationsinfrastruktur gewährleistet.


Literaturverzeichnis

[BMWi2014] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: „Moderne Verteilernetze für Deutschland“ (Verteilernetzstudie). Abschlussbericht. Studie im Auftrag des BMWi. Berlin, 12. September 2014

[BKN2009] B. Buchholz, A. Kiessling, D. Nestle: Individual customers” influence on the operation of virtual power plants. Power & Energy Society General Meeting 2009. PES '09, IEEE, Calgary, 26-30 July 2009. ISSN: 1944-9925; Print ISBN: 978-1-4244-4241-6. Digital Object Identifier: 10.1109/PES.2009.5275401

[Csells2015] Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg e.V. (Verbundkoordination): C/sells - Großflächiges Schaufenster im Solarbogen Süddeutschlands. Projektskizze im Rahmen der Förderinitiative „Schaufenster Intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Stuttgart, Mai 2015

[DIGR2016] Digital Grid — The "Internet of Energy": http://www.digitalgrid.org/en/ abgerufen am 23.11.2016

[EY2013] Ernst & Young: Kosten-Nutzen-Analyse für einen flächendeckenden Einsatz intelligenter Zähler. Endbericht. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Berlin, Juli 2013

[IZES2009] Verantwortlicher Konsortialpartner: IZES, Mitwirkende Konsortialpartner: Prof. U. Leprich, Günther Frey, Eva Hauser (IZES); Prof. A. Junker; C. Hell (Dornbach & Partner), U. Rosen (BET): Ergebnisstudie E-Energy-Projekt Modellstadt Mannheim (moma), Arbeitsschritt 1.4 – Geschäftsmodelle und Vorschläge zu ausgewählten Business Cases. erschienen in moma. Mannheim 15.12.2009

[Kies2015] Kießling, Andreas (Hrsg.); Hartmann, Gunnar: Energie zyklisch denken. Etwa 130 S., E-Book (Amazon). Leimen ISBN 978-3-00-047441-5. https://www.amazon.de/Energie-zyklisch-denken-Andreas-Kie%C3%9Fling-ebook/dp/B00O7UK1PI

[OLEV2016] Effektivität, Effizienz. Online-Verwaltungslexikon: http://www.olev.de/e/effekt.htm abgerufen am 15.11.2016

[moma1201] Verantwortlicher Konsortialpartner: IZES; Mitwirkende Konsortialpartner: IZES: Klann, Uwe; Leprich, Uwe; PPC: Begasse, Simon; Müller, Christine; Wolski, Thomas; MVV: Kießling, Andreas; IWUS: Junker, A.; Dornbach & Partner: Hell, C.; E-Energy-Projekt Modellstadt Mannheim (moma), Arbeitsschritt 1.8 – Studie zu Wirtschaftsperspektiven, 10.01.2012

[PEF2016] Prognos, Energie Campus Nürnberg, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg: Dezentralität und zellulare Optimierung – Auswirkungen auf den Netzausbaubedarf. Studie im Auftrag der N-ERGIE Aktiengesellschaft. Berlin und Nürnberg. 7. Oktober 2016

[RELE2013] Reiner Lemoine Institut: Vergleich und Optimierung von zentral und dezentral orientierten Ausbaupfaden zu einer Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien in Deutschland. Studie im Auftrag von Haleakala Stiftung, 100 Prozent Erneuerbar Stiftung, Bundesverband mittelständische Wirtschaft. Berlin. 21. Oktober 2013

[VDE2015] VDE – ETG Task Force Grundsätzliche Auslegung neuer Netze: Positionspapier – Der zellulare Ansatz, Grundlage einer erfolgreichen, regionenübergreifenden Energiewende. VDE-ETG-Studie. Hrsg. vom VDE-Verlag. Frankfurt 06/2015