Donnerstag, 22. März 2018

Suche nach der Weltformel

Berechenbarkeit der Welt oder Ordnung am Rande des Chaos



Stephen Hawking widmete sein Leben der Suche nach der EINEN Weltformel. Die Erreichung dieses Zieles blieb ihm versagt. Am 14. März 2018 vollendete sich ein Leben, dem die Ärzte im Alter von 21 Jahren gerade noch zwei weitere Jahre gewähren wollten. Aber wie die Physiker das Wirken im Universum heute noch nicht wirklich in seiner Komplexität erfasst haben, werden auch die Ärzte nicht so schnell die Mysterien des Lebens und des Geistes verstehen. Stephen Hawking waren weitere 55 Jahre gegeben. Der Physiker vollbrachte als Kosmologe trotz widriger, körperlicher Umstände große Leistungen bezüglich der Erforschung des Universums. Aber die Suche nach der Weltformel auf Basis des Verständnisses von Energie, Raum und Zeit begrenzte auch die Dimensionen seines Suchraumes.  Dies lässt sich mit Stuart Kauffman ausdrücken. „Doch alle Wissenschaftler sind sich im folgenden Punkt einig: Selbst wenn wir die endgültige Theorie finden sollten – vielleicht Superstrings, eingebettet in einen zehndimensionalen Raum , wobei sechs Dimensionen „eingerollt„ sind  und die restlichen vier zu einem „topologischen“ Schaum  der gequantelten Raumzeit „aufgeschlagen“ sind, so dass die Schwerkraft und die übrigen drei Kräfte in ein einheitliches theoretisches Rahmenmodell  integriert werden  -, würde unsere Arbeit erst beginnnen.“ Kauffman, S. (09/1998)

Denn haben wir als Physiker wirklich alles erreicht, wenn wir wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält – um mit Faust zu sprechen. Mit Gravitationstheorie und Quantenmechanik können wir nur berechen, wie sich die Himmelskörper im Universum bewegen oder wie sich die Materie aus kleinsten Teilchen zusammensetzt sowie Strukturen wie Atome und Moleküle bildet, als auch über energetische Prozesse miteinander interagiert. Wir verstehen Materialeigenschaften und nutzen inzwischen auch die erstaunlichen Folgerungen aus der Quantentheorie bei der Entwicklung neuer Kommunikations- und Computertechnologien. Aber wir verstehen weiterhin nicht, warum sich Materie zu neuen Organisationsformen bei der Entwicklung von Leben zusammensetzt und hier den Gesetzen der Thermodynamik bezüglich der Steigerung von Entropie trotzt. Wir verstehen schon gar nicht, wie auf Grundlage des einheitlichen Verständnisses von Energie und Materie das Bewusstsein zu erklären ist.

Genauso wie Ärzte bezüglich der Schulmedizin die Arroganz aufgeben sollten, über die Dauer des menschlichen Lebens eine Aussage abgeben zu können, ist es den Physikern zu empfehlen, ihre Überheblichkeit abzulegen, mit den Begriffen Energie und Materie sowie quantitativen, auf Modellen basierenden Methoden die Welt vollständig beschreiben zu können. Die reduktionistische Methode der Physiker ist ein nützliches Hilfsmittel, Erklärungen zur Funktion des Universums zu finden. Diese Methode ist aber kein hinreichendes Mittel, um umfassende Vorhersagen zur Entwicklung des Universums bezüglich neuer Organisationsformen mit neuen Eigenschaften zu treffen. Bezüglich der Untersuchung von Emergenz, also der Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente, stehen wir noch am Anfang. Zu hohe Komplexität im Zusammenwirken der Elemente führt zum Chaos.  Systemen mit wenigen Eigenschaften wiederum fehlt die Dynamik zur kontinuierlichen Entwicklung. Insofern ergeben sich nach Stuart Kauffman neue Ordnungen mit neuen Eigenschaften am Rande des Chaos. Das Verständnis für derartige Prozesse fehlt uns in der heutigen Physik weitgehend. Die dazu notwendige Komplexitätstheorie entsteht im interdisziplinären Zusammenwirken verschiedener Fachrichtungen.  Anders ist der Versuch, Energie, Materie, Zellen, Organisationen, Volkswirtschaften und Gesellschaften zu verstehen, zum Scheitern verurteilt.  Die Weltformel kann uns grundlegende Erklärungen bieten, aber Vorhersagen zur Entwicklung der Welt gewinnen wir mit dieser Methode nicht umfassend. Der Reduktionismus ist tot. Widmen wir uns stattdessen der brodelnden Aktivität und Komplexität der Welt, um wirklich zu verstehen, wie der unendliche Organismus eines vollständig zusammenhängenden Universums wirkt und wie wir einerseits lokal begrenzt und doch gleichzeitig global verbunden Bestandteil und ebenso das Ganze sind.


In einer empfindlich ausbalancierten Welt müssen wir den Anspruch aufgeben, langfristige Vorhersagen machen zu können. Wir können die realen Folgen unserer eigenen besten Handlungen nicht absehen oder gar vollständig berechnen. Wir können lediglich lokal, nicht aber global vernünftig handeln…

Wir und alle anderen Lebewesen können die Lawinen und ihre Verpflechtungen, die wir gemeinsam erzeugen, nicht vorhersagen. Wir können nur lokal unser Bestes geben.“

Kauffman, Stuart. (09/1998)



Handle lokal und denke global“

Dalai Lama



Kauffman, S. (09/1998). Der Öltropfen im Wasser. Chaos, Komplexität, Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft. München: Piper Verlag GmbH. ISBN-10: 3492035493. ISBN-13: 978–3492035491

Freitag, 9. Februar 2018

Naturstromspeicher Gaildorf



Naturstromspeicher Gaildorf: © Max Bögl Wind AG. 2017

Dezentralität, Partizipation und Flexibilität durch Sektorenkopplung – grundlegende Merkmale der Energiewende finden ihre Realisierung im Naturstromspeicher Gaildorf.

Südlich von Schwäbisch Hall ragen bei Gaildorf auf einem Gebirgszug der Limpurger Berge vier Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von 178 m aus der Landschaft. Bei einem Rotordurchmesser von 137 m hält eine der vier Anlagen seit Herbst 2017 den Höhenweltrekord von 246,5 Meter.  Die Maximalleistung von 13,6 Megawatt in der Summe aller Anlagen gekoppelt mit einem Pumpspeicherkraftwerk von 16 Megawatt Leistung ermöglicht die Produktion von bis zu 42 Gigawattstunden, ausreichend für eine Stadt mit 10.000 Vierpersonenhaushalten. Die Anlagen können im Falle externer Netzausfälle die Region als autonome Energiezelle bis zu vier Stunden mit Strom versorgen. Dieser Weg der Gestaltung lokaler Energiekreisläufe – Dezentralität - befördert eigene Gestaltungsmöglichkeiten der Region und lokale Wertschöpfung. Die Beteiligung an den Möglichkeiten Erneuerbarer Energien – Partizipation – schafft Akzeptanz für die Energiewende.  Diese These wird vom Projekt Naturstromspeicher Gailberg gestützt. Vor dem Start des Vorhabens wurden die Bürger erfolgreich um ihre Zustimmung gebeten. Natürlich gibt es auch längere Phasen, in denen der Wind nur schwach weht oder Windstille herrscht, somit die Anlagen auch in der Verbindung mit dem Pumpspeicherkraftwerk nicht genügend Strom liefern. Insofern bleibt Gaildorf Teil des vernetzten Energiesystems Deutschlands, bildet eine Zelle im Energieorganismus, die regional selbständig agiert und überregional verbunden optimiert.

Die Kopplung der anscheinend gegenläufigen Zielrichtungen zwischen Regionalität und einem überregionalen Verbund sowie die schwankende Verfügbarkeit der Erneuerbaren Energien Wind und Sonne erfordert ein System, das sich ändernden Situationen elastisch und zeitnah anpassen kann – Flexibilität.

Die den Erfolg der Energiewende bestimmenden Facetten Dezentralität, Partizipation und Flexibilität bestimmen die Architektur des Gesamtsystems in Gaildorf, die unter den Überschriften Naturwärmespeicher, Naturstromspeicher und Naturversorgung begreifbar wird. Komfortbedürfnisse der Menschen nach Wärme und Nutzenergie auf Basis von Strom verbinden sich mit einer dafür notwendigen naturverbundenen Energieversorgung.

Wärmespeicher schaffen die notwendige Flexibilität einer Energieversorgung auf Basis schwankender Angebote. Der Naturwärmespeicher verzichtet auf die Errichtung neuer technischer Wärmespeicher und nutzt stattdessen die Wärmespeicherfähigkeit von Wasser in Brunnen, Teichen oder Seen je nach Bedarf des jeweiligen Wärmenutzers. Dezentrale Lösungen basieren auf dem Umfeld beteiligter Nutzer. Ein vereister Teich wird somit im Winter mit der in ihm gespeicherten Energie zum Wärmevorrat.

Die besondere Herausforderung der Energiewende besteht darin, durch Erneuerbare Energien schwankende Stromangebote mit den Strombedarfen in Haushalten, Gewerbe und Industrie in Übereinstimmung zu bringen. Stromspeichertechnologien gewinnen somit zunehmend an Bedeutung. Die innovative und naturverbundene Lösung in Gaildorf besteht darin, Windenergieanlagen mit dem Pumpspeicherkraftwerk direkt zu verbinden. Dabei befinden sich die oberen Wasserbecken fast unsichtbar in den Fundamenten der Windenergieanlagen. Als Unterbecken wird ein natürlicher See im Tal zu Fuße des Gebirgszuges genutzt. Kurzfristige Schwankungen bei der Stromerzeugung durch die Windanlagen können somit lokal ausgeglichen werden, um weite Transporte elektrischer Energie über die Stromnetze soweit wie möglich durch dezentrale, flexible Handlungsmöglichkeiten zu reduzieren.

Zukünftig gewinnt die Sektorenkopplung der für Menschen wichtigsten Endenergieformen Wärme und Strom zur Schaffung der notwendigen Flexibilität des Energiesystems zunehmend Bedeutung. Der lokale Energiekreislauf schafft Autonomie sowie damit regionale Handlungsmöglichkeiten und Wertschöpfung. Eine autonome Region bleibt mit dem externen, überregionalen Stromsystem verbunden, da dies Grundlage für Versorgungssicherheit und gegenseitige Unterstützung ist. Aber Ferntransporte können reduziert werden. Dies wiederum ist ein Beitrag, um den Ausbau Erneuerbarer Energien zu beschleunigen, ohne im Netzausbau den Engpass zu finden. In Gaildorf kann eine mögliche Kopplung vom Naturwärmespeicher mit dem in die natürlichen Gegebenheiten eingeordneten Naturstromspeicher die Naturversorgung für die Menschen der Region umfassen.
Die für die Bevölkerung von Gaildorf sichtbare Beteiligung an der Energiewende sowie die Naturverbundenheit der Lösung schafft Akzeptanz für die veränderte Gestaltung von Energiekreisläufen.

Andreas Kießling, 09. Februar 2018