Am Tag der deutschen Einheit heute, gerade im neuen
Haus in Leimen bei Heidelberg sitzend, beginnen die Gedanken zu schweifen.
Gerade wird mir wieder bewusst, dass es immer wieder in
Umbruchphasen gilt, das Unmögliche zu Denken. Gerade den Menschen aus den
ostdeutschen Bundesländern hatte die Zeit zwischen 1989 und 1990 deutlich
gemacht, dass nichts unmöglich ist.
Insofern möchte ich den heutigen Tag nutzen, die Gedanken
auf den Umbruch in unserem Energiesystem zu lenken, der nicht nur die Anpassung
an Erneuerbare Energien bedeutet, sondern einen Paradigmenwechsel mit sich
bringt. Dieser Paradigmenwechsel besteht darin, dass wir von einer linearen
Wertschöpfungskette mit unidirektionaler Elektrizitätsverteilung zu einem
Wertschöpfungsnetzwerk mit bidirektionalen Energieflüssen übergehen, wobei auch
der Energiemarkt einen Designwechsel im Rahmen der zukünftig volatileren sowie
gleichzeitig lastfernen und dezentraleren Erzeugung erfahren wird.
Es gilt Energie neu zu denken. Gerade deswegen bewegt mich
die Diskussion der letzten Tage zur Definition von Prozessen in diesem
Energiesystem sowie zur Normung und zur Profilierung von Normen sehr. Aus
diesem Grunde möchte ich heute ein paar Anmerkungen zu diesem Thema zur
Diskussion veröffentlichen , die ich bewusst nicht als Vertreter eines
Unternehmens oder als Mitwirkender in verschiedenen Gremienaktivitäten äußere,
sondern als Person zu Papier bringe, die sich um den Erfolg der Energiewende
sorgt und die im Sinne des Gesamtsystems denkt, ohne die Gedanken aus einer
Interessensicht eingrenzen zu wollen.
Seitdem ich 2001 als Berater in der Zeit des
E-Business-Hypes in die Energiewirtschaft einstieg, durfte ich die Entwicklung
zu diskriminierungsfreien Datenaustauschprozessen beginnend bei der
EDNA-Initiative, der Bildung von VWEW-Modellen und Nachrichtentypen, über die
Verbändevereinbarung VV2, die Festlegungen der BNetzA zu Prozessen und Nachrichtentypen
bis hin zur heutigen Arbeit unter der Dachmarke EDI@Energy miterleben. Dies war
immer ein beispielgebender Prozess, den ich selbst vielfältig bei der deutschen
und europäischen Normungsarbeit zur Use Case-Definition und zur Ableitung von
Normen für Kommunikation und Sicherheit aus Use Cases zitiere. Hierbei wurden
aber insbesondere die Prozesse zwischen einer begrenzten Anzahl von Akteuren
der Energiewirtschaft mit Lieferanten, Netzbetreibern,
Bilanzkreisverantwortlichen und Bilanzkreiskoordinatoren einer linearen
Wertschöpfungskette über die Enterprise-Systeme dieser Akteure betrachtet.
Worin besteht nun der Paradigmenwechsel?
Der Hauptanspruch im zukünftigen Energiesystem besteht in
der Markt- und Netzintegration des Endkunden als Netznutzer mit ihren
dezentralen Erzeugungsanlagen in den Verteilungsnetzen und in den
Liegenschaften der Endkunden sowie in der Entwicklung von Maßnahmen zur
Verbrauchssteuerung bis hin zu automatisierten Energieeffizienzdienstleistungen
zur Flexibilisierung des Energiesystems und zur Senkung des Energieverbrauches.
Die Vielfalt der verteilten Erzeugungsanlagen in allen Spannungsebenen
erfordert weiterhin neue Formen der automatisierten Netzführung in
hierarchischer Abstimmung über die Spannungsebenen und die Netzbetreiber
hinweg, mit wachsender Verantwortung beim Verteilungsnetzbetreiber. Der Kern
dabei besteht in der bezüglich der Datenmengen exponentiell zunehmenden,
echtzeitfähigen, automatisierten Maschine-zu-Maschine-Interaktion im Smart Grid
als vernetzende Infrastruktur für Markt- und Netzakteure.
Die grundlegende Erkenntnis aus Smart
Grid-Forschungsprojekten im E-Energy-Rahmen sowohl im darin eingebetteten
moma-Projekt sowie von Strategiegesprächen beim BMBF, BMU und BMWi besteht
darin, dass der Erfolg der Energiewende nur durch eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit von Energiewirtschaft, IKT-Industrie, Herstellern
elektrotechnischer Anlagen und Geräte sowie durch eine transdisziplinäre
Zusammenarbeit mit den Praxispartnern in der Politik bis hin in die Kommunen sowie
den heterogenen Nutzergruppen als Interessenträger mit vielfältigen Formen
einer zukünftigen Beteiligung gelingen kann.
Insofern ist auch die Frage zu stellen, inwieweit
heutige Formen der Zusammenarbeit im Rahmen energiewirtschaftlicher Arbeitskreise
zur Use Case-Modellierung, zur Prozessdefinition sowie zur Profilierung von
Normen ausreichend sind oder besser durch eine branchenübergreifende
Zusammenarbeit (z.B. von BDEW, VKU, ZVEI, VDE, BITKOM) zu ersetzen ist.
Insbesondere stelle ich mir auch die Frage, ob nicht eine Trennung von erstens
fachlichen Definitionen (fachliche Use Cases inkl. nichtfunktionale Use Cases
zur Gewährleistung von Informationssicherheit, Prozessdefinitionen,
Informationsmodelle) sowie zweitens von Normungsfestlegungen und zur
Profilierung von Normen im Arbeits- und Festlegungsprozess gestaltet werden
sollte, um fachliche und technische Definitionen in unterschiedlicher
Halbwertszeit bearbeiten zu können. Aus meiner Sicht muss es auch möglich sein,
bei der Neugestaltung von System- und Marktdesign bisher verwendete
Kommunikationsnormen wie EDIFACT im Rahmen einer bis zum Endkunden vernetzten
Energiewelt und Maschine-zu-Maschine-Kommunikation ohne Denkverbote in Frage zu
stellen.
Wir gestalten gemeinsam die Energiewende und beschreiben
damit „am offenen Herzen“ den Übergang in eine neue Energiewelt. Insofern
plädiere ich für eine intensivere, branchenübergreifende und stärker
koordinierte Arbeit bei Fachdefinitionen sowie eine Zusammenarbeit bezüglich
der technischen Definitionen auf einer neutralen Grundlage. Dafür bietet sich
bezüglich der genannten zweiten Ebene im Spezifikationsprozess mit der
technischen Normung und der Normenprofilierung der internationale Rahmen von
IEC/ISO, der europäische Rahmen von CENELEC/CEN/ETSI sowie der deutsche Rahmen
von DKE und DIN an. Branchenübergreifende Verbandsgespräche zur Nutzung dieses
Rahmens bei der Neudefinition von Prozessen für die zukünftige Energiewelt, zur
Normung, zur Normenprofilierung und zur Festlegung von Testverfahren zur Feststellung
von Interoperabilität von Komponenten im Smart Grid mit Erzeugern,
Verbrauchern, Speichern, Netzautomatisierungsmitteln, virtuellen Kraftwerken
und Aggregatoren sollten deshalb sehr zielführend sein.
Indem ich uns also eine erfolgreiche weitere Zusammenarbeit
nach diesem 23. Tag der deutschen Einheit bei der Gestaltung der Energiewende
wünsche, verbleibe ich
mit sonnigen Grüßen