Öffentlicher Brief
Sehr
geehrter Herr Dr. Peters,
mit diesem öffentlichen Brief soll ein
Beitrag zur aufgeworfenen Diskussion um Mythen der Energiepolitik geleistet
werden. Um den offenen Blick auf den hier abgegebenen kontroversen Beitrag zu
ermöglichen, möchte ich zuerst betonen, dass zwar einige im Rahmen ihrer
Kolumne abgegebenen Aussagen in Frage gestellt, aber gleichzeitig wichtige
Denkanstöße für einen erweiterten Blick auf Energiepolitik aufgenommen werden.
Zu Beginn gebe ich das Bekenntnis ab, im
Leben auch Opfer verschiedener Mythen gewesen zu sein. Dazu gehört als Ostdeutscher
der frühere Glaube an die Gesellschaftsordnung, in der wir aufwuchsen. Doch wir
mussten erkennen, dass Zentralismus zu mangelnder Entwicklungsfähigkeit, Starrheit
und letztendlich zum Systemzusammenbruch führt. Ich werde darauf im
Zusammenhang mit der Diskussion um die Vorteile eines dezentralen Energiesystems
zurückkommen. Zu den Mythen gehörte auch
der Glaube an die Kernenergie als billige, saubere und überall verfügbare
Energieform. Dieser Glaube war der eigentliche Beweggrund, warum ich den
Traumberuf des Physikers wählte. Die Diplomarbeit verteidigte ich im Juni 1986,
zwei Monate nach der Katastrophe von Tschernobyl, womit ein Umdenkprozess
begann. Letztendlich ist es auch ein Mythos, dass die Menschheit zu den Sternen
fliegen muss. Aber wir nehmen uns dieser Herausforderung an, weil uns das
Unbekannte reizt, die Suche nach dem Neuen uns zum Menschen macht und weil dies
möglicherweise unser langfristiges Überleben sichert. Hier stellt sich die
Frage, ob Mythen grundsätzlich mit einem behaupteten Wahrheitsgehalt verbunden
sind, der bekämpft werden muss. Teilweise hinterlassen ihre Artikel unter der
Überschrift „Mythen der Energiepolitik“ diesen Eindruck. Wir wissen nicht, ob
der Weg zu den Sternen für die Menschheit erfolgreich ist. Aber ich denke,
einig kann man sich in der Sicht sein, dass ohne den Weg zu den Sternen, die
zeitliche Dauer der Existenz der Menschheit begrenzter ist, als wenn wir uns im
Weltraum diversifizieren, neue Ressourcen finden und neue Entwicklungsanreize
erfahren. Außerdem können Mythen anregend sein, um zu träumen, neue Wege zu
suchen und neue Erfahrungen zu machen. Wenn aber der Mythos zum Dogma wird,
lauert die Gefahr der Erstarrung. Bewegungslosigkeit behindert dann Entwicklung
und diese Gefahr birgt sicherlich auch Energiepolitik. Eine gute Lösung
bedeutet nie, dass es zukünftig nicht neue Lösungen gibt. Es gilt Offenheit zu
bewahren. Bei allen nachfolgenden Kritikpunkten bezüglich ihrer negativen
Beurteilungen zur Solar- und Windenergie sowie dezentraler Ansätze befördere
ich gern ihre Forderung nach Offenheit für zukünftige technologische
Entwicklungen, um neue Chancen zukünftigen Generationen nicht zu verbauen und den
Weg zu den Sternen zu bereiten.
Im Rahmen dieser Sichtweise werde ich mich
nachfolgend mit einigen ihrer Ausführungen auseinandersetzen, um dann aber auch
Brücken für eine offenere Sichtweise auf Energiesysteme der Zukunft zu bauen.
Dezentrale Architektur des Energiesystems
Nachfolgende Ausführungen haben das Ziel,
kritischen Sichten auf dezentrale Ansätze für das Energiesystem der Zukunft alternative
Überlegungen gegenüberzustellen. Ihre Ausführungen verbreiten sie im Namen des
Deutschen Arbeitgeber Verbandes e.V., der sicherlich nicht die Sicht der Mehrheit
deutscher Arbeitgeberverbände sowie des Dachverbandes widerspiegelt. Bezüglich
einer derartigen Vereinigung ist aber mit hoher Sicherheit, davon auszugehen,
dass die Erweiterung wirtschaftlicher Chancen im Interesse einer solchen
Organisation ist und insofern sich die Abwägung zwischen zentralen und dezentralen
Ansätzen der Wirtschaftlichkeit als Zielrichtung widmen sollte.
Unbestritten sind die Herausforderungen bei
der Gestaltung des Energiesystems sehr vielfältig und komplex, was die Suche
nach einem gemeinsamen Vorgehen in der Energiepolitik schwierig gestaltet. Oft
verfehlen die Diskussionen um Erneuerbare Energien und die Dezentralisierung
des Energiesystems aber die wirkliche Stärke der Erneuerbaren. Bei genauer
Betrachtung geht es oft nur um den Erhalt vergangener Wertschöpfungsprozesse
und es werden die Möglichkeiten neuer und vielfältig erweiterter Wertschöpfung
im Umfeld quasi unbegrenzt und überall vorhandener Ressourcen übersehen. Der
Systemumbau bietet bei offener Sichtweise auf das gesellschaftliche
Gesamtsystem höchste Chancen für neues ökonomisches Wachstum mit zusätzlichen Möglichkeiten
für Unternehmen, Menschen, Kommunen und Regionen sowie für die Stärkung
Deutschlands im internationalen Kontext. Diese Chancen beweisen, dass Wachstum
und Schonung des natürlichen Kapitals der Erde kein Gegensatz sind.
Dabei gilt es natürlich, das europäische
Verbundsystem zu sichern, da es mit seinen ausgleichenden Effekten dazu
beiträgt, die Versorgungssicherheit in Europa auf einem sehr hohen Stand zu
halten. Aber ein Gesamtsystem als Verbund vielfältiger dezentraler Systeme
schafft einerseits Möglichkeiten der Selbstgestaltung in Kommunen und Regionen
und erhöht Akzeptanz durch subsidiäres Handeln, aber wird anderseits dem auch
von der EU-Kommission ausgegebenen Anspruch zur Entwicklung eines wettbewerblicheren
Energiesystems gerecht.
Subsidiarität und Verbundenheit führen zum
Vorschlag eines Energiesystems mit regionalen Erzeugungs-, Speicherung- und
Ausgleichmechanismen im Verbund von Strom, Gas (inklusive neuer
Wasserstoffinfrastrukturen), Wärme und Mobilitätskonzepten sowie der Abstimmung
zwischen regionalen Interessen, gesamtstaatlichen Anforderungen und
europäischen Ansprüchen in umfassenden Verbundnetzen. Ein gemeinsames
Energiesystem in Europa wird nur dann weiterhin erfolgreich sein, wenn es gelingt,
die Vielfalt der wirtschaftlichen Chancen zu entwickeln, lokales und regionales
Handeln zuzulassen sowie dabei den Rahmen zu schaffen, dass globales Denken für
alle Akteure interessant bleibt und zur Verbundenheit führt.
Die Umgestaltung des Energiesystems erfolgt
auf dieser Basis auch in bedeutenden Maße von unten nach oben, wobei hier im
förderalen System Deutschlands die Landkreise und die Bundesländer eine
entscheidende Rolle spielen. Ein nur aus zentraler Sicht festgelegtes, starres
System führt zu keiner Akzeptanz und verhindert Partizipation breiter
Interessengruppen zu Gunsten weniger Akteure. Die Chance für neue Arbeitsplätze
in Europa sowie für neue Wertschöpfung in den Regionen besteht in der Vielfalt.
Es ist also im Kern die Fragestellung zu
beantworten ist, wo die Energiewende stattfindet. Mit dem breiten Engagement
für die Energiewende und der damit verbundenen hohen Zustimmungsrate bei der
Bevölkerung hat Deutschland die einmalige Gelegenheit, weltweit Impulsgeber für
den notwendigen Umbau des Energiesystems zu sein. Mit den wirtschaftlichen
Möglichkeiten einer hohen Beteiligung erhöht sich auch die Diversifizierung der
Energieangebote als Mittel der Versorgungssicherheit gegenüber zentralen,
angreifbaren Systemen.
Zunehmend erkennen die Kommunen die Chancen
regionaler Wertschöpfung und treiben die Planung und den Umbau regionaler
Energiesysteme voran. Die Kommunen und Kreise erlangen damit zunehmend autonome
Gestaltungsfreiheit im Planungshandeln zurück. Dezentrale Energien aktivieren neues
Kapital und befördern neues ökonomisches Wirken. Dieses neue Wirken gestaltet
wiederum auf neue Weise das Zusammenleben in den Städten und Regionen der
Zukunft.
Quellen des Energiesystems
Die unter dem Label des Deutschen Arbeitgeber
Verbandes herausgegebenen Artikel beschäftigen sich damit, sogenannte Mythen
zur Energiepolitik zu offenbaren. Dabei macht sich der Eindruck breit, dass die
Notwendigkeit des Ausbaus Erneuerbarer Energien bestritten wird und am
bisherigen Energiesystem mit fossilen Energieträgern und Kernenergie festgehalten
werden soll. Beim Versuch die dortigen Ausführungen nachzuvollziehen, fehlt mir
das Verständnis für die damit verbundene Zielstellung aus dem Blickwinkel eines
Arbeitgeberverbandes. Meinen ursprünglichen Beruf als Kernphysiker –
spezialisiert in Kerntechnik und Kernenergetik - sowie als ehemaliger
Entwickler kernphysikalischer Messtechnik erwähnte ich schon. Auf Basis dieser
Herkunft kann versichert werden, dass der Bau und Betrieb von Kernkraftwerken
sicherlich weniger Arbeitsplätze bereitstellt als Bau, Wartung und
Energiedienstleistungen rund um erneuerbare Energieanlagen mit gleichem
Energieoutput, die noch dazu in einem dezentralen System vielfältig errichtet
werden. Inzwischen stellte das World Economic Forum fest, dass der sogenannte
„Umkipppunkt“ bei Erneuerbaren Energien bezüglich deren Wirtschaftlichkeit
erreicht ist und der weitere Ausbau weltweit als lohnendes Investment erfolgt. Auch
im Bereich der fossilen Energiewirtschaft ist dies den Verantwortlichen bereits
heute klar. Insofern haben soeben die großen Energieunternehmen der USA
gemeinsam Präsident Trump aufgerufen, nicht aus dem Pariser Klimaabkommen
auszusteigen, da sie selbst an den zukünftigen Chancen des neuen Energiesystems
beteiligt sein wollen. In Deutschland schaffen Unternehmen im Umfeld Erneuerbarer
Energien längst mehr Arbeitsplätze als die hoch automatisierten Kohleförderstätten
und Kohlekraftwerke.
Aus dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit
und der Chancen neuer Geschäftsmodelle sowie der Möglichkeiten zur Schaffung
neuer Arbeitsplätze ist es also schwer nachvollziehbar, warum ein
Arbeitgeberverband das Thema einer nachhaltigeren Energiewirtschaft so geringschätzt.
Zu beachten ist schon, dass der Begriff Nachhaltigkeit teilweise inflationär
eingesetzt wird. Im Kern bezeichnet dieses Wort das Handlungsprinzip zur
Ressourcen-Nutzung, bei dem die Bewahrung der wesentlichen Eigenschaften, der
Stabilität und der natürlichen Regenerationsfähigkeit des jeweiligen Systems im
Vordergrund steht [Seite „Nachhaltigkeit“ (2017). In: Wikipedia]. Die Definition
deutet darauf hin, dass Nachhaltigkeit eher Dynamik als Statik beschreibt. Die
Entwicklung der Lebensräume und damit der darin eingebetteten Energiesysteme
ist ein dynamischer Prozess der Veränderung, der die Systemwandlung beinhaltet.
Der Erhalt des Lebens erfordert aber auch eine gewisse Stabilität des Systems
und seiner wesentlichen Eigenschaften. Zur Entwicklung des Lebens werden die
Systemressourcen der jeweiligen Lebensräume benötigt. Um die notwendige
Stabilität des Systems zu sichern, ist zwingend dessen Regenerationsfähigkeit
zu gewährleisten, die sich auf Grundlage interner Prozessgeschwindigkeiten aber
auch auf Basis des Austausches mit der externen Systemumgebung durch Zuflüsse
und Abflüsse ergibt. Dieses fragile Gleichgewicht eines metastabilen Systems
wurde durch die übermäßige Nutzung unserer fossilen Ressourcen sowie der
natürlichen Angebote unserer Lebensräume gestört. In diesem komplexen Umfeld
bewegt sich der Kern der Nachhaltigkeitsdiskussionen. Die Frage besteht darin,
wie weit kann das Potential der Vergangenheit ausgeschöpft werden, um die
Zukunft unter Erhalt der wesentlichen Systemeigenschaften und unter Ausnutzung
der Systemregeneration zu gestalten.
Der Begriff Nachhaltigkeit ist aber ebenso
bei der Beurteilung des Einsatzes nuklearer Energiequellen zu verwenden. Zwar
ist spaltbares Material langfristig vorhanden. Es findet bei stabilem Betrieb
eines Kernkraftwerkes auch kein Ausstoß klimaschädlicher Gase statt. Das
inakzeptable Restrisiko für eine radioaktive Katastrophe und die Probleme zur
Beherrschung einer stabilen Lagerung von radioaktiven Reststoffen über
Jahrhunderttausende widersprechen aber den Nachhaltigkeitsprinzipien zum Erhalt
wesentlicher Eigenschaften und der natürlichen Regenerationsfähigkeit des
Systems Erde. Hier stellt sich die Frage, wie weit das zukünftige System
belastet wird und damit vorab ausgeschöpft werden kann, um wichtige
Systemeigenschaften auch in der Zukunft vorzufinden.
Insofern ist die Nutzung fossiler
Energieträger nicht per se in die Kategorie nicht nachhaltiger Prozesse
einzuordnen. Menschliche Energiegewinnung basierte lange auf der Anwendung
eigener Muskelkraft oder der von Tieren, um Bewegungsenergie zu erhalten. Die
Muskelkraft beruht wiederum auf der in Pflanzen und Tieren gespeicherten
chemischen Energie, die mit der Nahrung aufgenommen wird. Die Energiegewinnung
aus der Nahrungskette ist dann solange nachhaltig, wie nicht mehr Leben
genommen wird als neu entstehen kann.
Ebenso war die Gewinnung von Wärme für den
menschlichen Bedarf beim Heizen und Kochen unter Nutzung organischer,
pflanzlicher Rohstoffe, beispielsweise durch die Nutzung von Holz, solange
nachhaltig, wie weniger Holz verbraucht wurde als zur gleichen Zeit nachwachsen
konnte. Gleichzeitig bewirkte die ausgeglichene Nutzung zwischen Abbau und
neuem Wachstum, dass der Kohlendioxid-Anteil in der Luft konstant blieb. Bei
einer geringen Bevölkerungszahl auf der Erde konnte dies gewährleistet werden.
Unter den Bedingungen des massiven Bevölkerungswachstums zeigt das heutige
Schwinden von Waldflächen in Ostasien und in Südamerika nun, dass diese Form
der Umwandlung von Energiearten nicht mehr nachhaltig ist. Heute nutzen wir die
Ressourcen schneller als sie nachwachsen können und geben mehr Kohlendioxid in
die Atmosphäre ab als neu gebunden wird. Die Eigenschaften des Systems Erde
ändern sich damit massiv. Überlebensfähige Gesellschaften der Vergangenheit
bewahrten die Ressourcen ihrer Umwelt. Bei Raubbau an den Ressourcen im Sinne
nicht nachhaltiger Verwendung verschwand Schritt für Schritt die
Lebensgrundlage der entsprechenden Gesellschaft und so endete die jeweilige
erfolgreiche Entwicklung.
Doch auch schon vor der Periode der
Industrialisierung mit intensiver Nutzung fossiler Energieträger nutzte die
Menschheit Erneuerbare Energien. Schiffe fuhren mit Windkraft. Seit 2000 vor
Christus wird Wasserenergie zum Antrieb mechanischer Einrichtungen genutzt. In
der Mehlmühle arbeitete der Müller mit Windkraft. Schon 1500 vor Christus haben
die Ägypter begonnen, Sonnenenergie zu nutzen. Zur Zeit des Pharaos Echnaton
wurden mit Sonnenenergie die Tore eines Tempels morgens geöffnet und abends
geschlossen, indem Sonnenkollektoren Wasser erwärmten und die mechanische
Energie aus der Ausdehnung von Wasser gewonnen wurde. Vor der ersten
industriellen Revolution bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts wurde die zur
Produktion benötigte Energie vorrangig durch Wind- und Wasserkraft gewonnen.
Schon 1790 erbrachten in Europa eine halbe Million Kleinwasserräder eine
Leistung von ungefähr 1,65 Gigawatt Leistung.
Industrialisierung und der steil steigende
Bedarf an Energie beförderten auf Basis der damals leicht erschließbaren
Quellen Kohle und Öl sowie der Einführung der Nutzung des Wechselstroms zuerst
das zentrale Energiesystem. Diese Veränderung während der ersten und zweiten
industriellen Revolution beschleunigte die menschliche Entwicklung, reduzierte
aber gleichzeitig die Innovationsfähigkeit der Energiewirtschaft. Die Kohle-,
Gas- und Erdölnutzung machte über ein Jahrhundert alle Überlegungen bezüglich neuer
Energieträger überflüssig. Der Energiehunger der Menschheit ab Mitte des 20.
Jahrhunderts kostete das fossile Angebot extrem aus. Zusätzlich eroberte die
Kernenergie ab den 1950-er Jahren die Welt. Das Nachdenken über andere Wege erschien
bis in die 1970-er Jahre überflüssig.
Heute verändern diese Wege aber entscheidend
die Systemeigenschaften der Erde, wobei noch dazu dieses Energiesystem nicht
für alle Menschen bereitsteht. Zwischen eins und zwei Milliarden Menschen
besitzen keinen Zugriff auf Strom. Erneuerbare Energien und Dezentralität setzten
auch hier an, benötigten dabei aber eine längere Unterstützungsphase. Aber
gerade nun, da sich Wirtschaftlichkeit entfaltet und der Systemwandel weltweit
bevorsteht, greifen die Ausführungen zu Mythen der Energiepolitik unter dem
Banner eines Arbeitgeberverbandes die Interessen der gestrigen Energiewirtschaft
auf und vergessen die Chancen des Systemwandels.
Effektivität und Effizienz
Richtig ist, dass die deutsche Energiepolitik
zu lange von der Konzentration auf den Umbau des Stromsystems geprägt war. Wärme
macht rund 50 Prozent am Endenergieverbrauch aus. Weitere 28 Prozent des gesamten
Endenergiebedarfes werden im Verkehrssektor eingesetzt. Zusätzlich entstehen
aufgrund der hohen Schwankungsbreite des Angebotes an Erneuerbarer Energie mit
den Quellen Wind und Sonne hohe Bedarfe an Speicherkapazitäten. Um unter diesen
Bedingungen den Umbau zum erneuerbaren Energiesystem in wenigen Jahrzehnten zu vollziehen,
ergeben sich die resultierenden gesellschaftlichen Ziele zur Erhöhung der
Energieeffizienz.
Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen uns,
dass Wachstum immer mit der Steigerung des Energieverbrauches verbunden war. Heute
zeigen sich erste Indizien, dass Wachstum auch mit weniger Ressourceneinsatz
erzielt werden kann. Trotzdem lassen sich aufgrund der beschleunigten
Entwicklung neuer Technologien nur sehr schwer Zukunftsprognosen abgeben. Neue
Technologien wie Nano- und Biotechnologien, neue Materialien, 3D-Druck, usw.
generieren Wachstum ohne Steigerung des Energieverbrauches. Nicht
auszuschließen sind Technologien mit deutlich höheren Energieeinsatz. Aber
gerade im Hinblick auf die Unsicherheit der Prognostizierung des zukünftigen
Energiebedarfes sollte im Umfeld eines noch nicht vollständig nachhaltigen Energiesystems
der Energieeffizienzsteigerung hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden. Aus Sicht
eines Arbeitgeberverbandes ist dabei in Betracht zu ziehen, das Fortschritte
bei energieeffizienten Technologien neue Chancen für Unternehmen generieren.
Mit dieser Darstellung ist zu erkennen, dass die
Verbindung von Erneuerbaren Energien zur Gestaltung nachhaltiger
Energiekreisläufe und Energieeffizienz nicht immer zwingend ist, da eventuell
ein höherer Durchsatz von Energie in Kreisläufen auf nachhaltige Weise erzielt
werden kann und damit Effizienz keine Rolle spielt. Unter Betrachtung der
globalen Herausforderung, den Weg der fossilen Energiegewinnung in diesem
Jahrhundert zu verlassen, den wachsenden Energiehunger einer sich vergrößernden
Menschheit im Prozess der Urbanisierung und Modernisierung zu befriedigen und
gleichzeitig die Konversion des Energiesystems zu Erneuerbaren Energien
erfolgreich zu gestalten, wird aber schnell klar, dass die deutliche Erhöhung
der Energieeffizienz ein unverzichtbares Begleitmittel im globalen Maßstab der
Systementwicklung bleibt.
Bei lokaler oder regionaler Betrachtung
geschlossener Energiekreisläufe, die teilweise schon in naher Zukunft auf 100
Prozent Erneuerbaren Energien basieren können, ergeben sich aber auch andere
Aspekte. Gebäude, Gebäudekomplexe oder Städte entwickeln sich zu lokalen Lebensräumen
mit Überschüssen an Erneuerbaren Energien zu bestimmten Zeiten, die über
Energieangebote in Beziehung zu ihrer Umwelt treten können. Diese Beziehungen
eröffnen neue Geschäftsmöglichkeiten für Unternehmen. Insofern ist möglichweise
zusätzlich zur Beurteilung von Effizienz die Bewertung der Effektivität für die
gesamte Volkswirtschaft noch viel wichtiger.
Effektivität ist die Wirksamkeit im Sinne der
Erreichung angestrebter Ziele als Verhältnis von Wirkungen (Outcome) bezogen
auf die Ziele, wobei die Leistungen (Output) eines Systems die Wirkung
bestimmen. Effektivität bestimmt die Genauigkeit und Vollständigkeit, mit der
Benutzer ein Ziel erreichen. Der Grad der Effektivität beantwortet die Frage,
ob die richtigen Dinge bezogen auf das Ziel getan werden [Online Verwaltungslexikon (2016)]. Die
gesellschaftlichen Ziele beim Umbau des Energiesystems sind
Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und breite
Partizipation an der Wertschöpfung. Die Effektivität der Energieverteilung
bewertet damit das Verhältnis der quantitativen Veränderungen dieser vier
Parameter (Wirkungen) bezogen auf die Zielstellungen. Dezentrale Energien
bieten die Chance, Wertschöpfungspotentiale für Kommunen, Regionen, Bürger und
neue Unternehmen und damit gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtspotentiale zu
heben [Prognos (2016)]. Das Heben dieser Potentiale durch Partizipation am
dezentralen Energiesystem gegenüber der zentralen Erzeugung mit einem
verbundenen System aus Subsystemen (Energiezellen) mit individueller
Verantwortlichkeit und autonomen Entscheidungen ist damit ein
Bewertungskriterium für Effektivität.
Der Bewertung der gesellschaftlichen Wirkung
folgt nun mit der Effizienz die Bewertung der Leistung. Effizienz ist das
Verhältnis von Leistungen (Output) zu Aufwänden/Ressourcen und/oder anderen
Nachteilen/Opfern (Input) mit dem Benutzer ein bestimmtes Ziel erreichen. Es
geht also um Mittel und Wege zur Erreichung der Wirkungen. Der Grad der
Effizienz im Unterschied zur Effektivität beantwortet die Frage, ob die Dinge
richtig getan werden. Dabei gilt, Effizienz ist wichtig, aber die falschen
Dinge effizient zu tun bleibt Verschwendung. Primär sind die Ziele und Zwecke
sowie der Grad der Erreichung (Effektivität) und in der Folge die Mittel und
Wege sowie ihr Einsatz (Effizienz) zu bewerten [Online Verwaltungslexikon
(2016)].
Auf Basis der effektiven Gestaltung des
Energiesystems - dezentraler Ansatz mit Regeln zur Verbundenheit - sind effiziente
Systeme zu gestalten, um Energiekosten zu senken und Nachhaltigkeitsziele zu
erreichen. Die politischen Effizienzziele zum Energieeinsatz können nur in
kombinierter Betrachtung aller Endenergien erreicht werden. Der Verbrauch an
Endenergie bezüglich Elektrizität und Wärme findet bis zu 50 % in den Gebäuden
statt. Die Erschließung von Effizienzpotentialen in den Bereichen Elektrizität,
Wärme und Kühlung/Belüftung erfordert ein integriertes und automatisiertes
Energiemanagement. Dafür werden vielfältige Dienste im Umfeld von Verbrauchs-
und Erzeugungsprognosen, Betriebsfahrpläne sowie auch Wettervorhersagen
benötigt, was wiederum Chancen für unternehmerisches Handeln bietet.
Zukunftsblick
Mit Recht kann eine teilweise überzogene
Technologiekritik in Deutschland kritisiert werden. Damit ist hier aber nicht
die Kritik an der Nutzung der Kernenergie gemeint. So verlockend diese
Technologie in den 50-er Jahren erschien und mich persönlich auch zum Studium
der Kernphysik bewegte, so notwendig ist heute der Verzicht auf deren Nutzung. Von
Anhängern dieser Energiequelle wird oft behauptet, dass Kernenergie in
geringerem Maße als Erneuerbare Energie finanziell zum Wachstum gefördert
werden musste. Studien mit anderen Ergebnissen werden handwerkliche Fehler
unterstellt. Dabei wird in der Regel vollständig unterschlagen, dass hohe
Positionen zukünftiger Kosten sowie der Risiken von der Gesellschaft getragen
werden, ohne in Vergleichsrechnungen einzugehen. Kernkraftwerksbetreiber sind in
Europa mit maximal 1 Milliarde Euro gegen den Super-Gau versichert, den wir in
Tschernobyl und Fukushima erlebten. Die gesellschaftlichen Kosten nach einem
derartigen Unfall in Europa werden in der Größenordnung von über 100 Milliarden
Euro geschätzt. Die Endlagerung der Uran-Brennelemente mit einer Lagerzeit, die
die Zeitdauer der Entwicklung der menschlichen Zivilisation überschreitet, ist
immer noch ungeklärt. Die Kosten der Endlagerung trägt die Gesellschaft. Die
geschätzten Kosten zum Rückbau von überalterten Kernkraftwerksblöcken werden regelmäßig
nach oben korrigiert und betragen inzwischen mehrere Milliarden Euro pro Block.
Erste Erfahrungen gibt es in Deutschland mit dem Rückbau des Kraftwerkes in
Greifswald. Auch in Frankreich, wo sich mehrere überalterte Kraftwerksblöcke
befinden, macht man sich zunehmend Sorgen bezüglich der exorbitanten Kosten
zukünftig notwendiger Rückbauten. Weiterhin werden zunehmend im Bereich der
Kernenergie neue Kraftwerksbauten mit höheren Förderungen ausgestattet. Unrühmliches
Beispiel ist der Bau des Kernkraftwerkes Hinkley Point in England, dessen
Kosten aus dem Ruder laufen. Dabei werden dem Kraftwerksbetreiber massive
staatliche Förderungen zugesichert, z. B. Kreditgarantien in Höhe von mehr als
20 Milliarden Euro zur Absicherung der Baukosten. Weiterhin wird ein mit elf
Cent pro Kilowattstunde (kWh) vergleichsweise hoher Abnahmepreis für den in
Hinkley Point C produzierten Atomstrom garantiert - dies über 35 Jahre, plus
Inflationsausgleich. Konservativ hochgerechnet mit einer Inflationsrate von zwei
Prozent macht das eine Vergütung von 22 Cent pro kWh im letzten Förderjahr.
Eine große Photovoltaik-Anlage erhält in Deutschland über das
Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahre 2016 eine Vergütung von rund acht Cent pro
kWh – 20 Jahre lang, ohne Inflationsausgleich [Wolk, Constanze (2016)]. Von der
auch seit Jahrzehnten anhaltenden Förderung der Arbeitsplätze beim Abbau der
Steinkohle im Ruhrgebiet soll hier gar nicht gesprochen werden. Diese Kosten
erscheinen aber im Gegensatz zur EEG-Umlage auf keiner Stromrechnung. Die
Diskussion um die Förderung der erneuerbaren Energien besitzt also eine völlige
Schieflage zugunsten fossiler Energien und der Kernenergie.
Warum fällt es uns eigentlich so schwer,
unseren Blick als Hochtechnologieland auf die Chancen neuer Technologien zu
richten?
Sicherlich sind erneuerbare
Energietechnologien nicht automatisch in jeder Hinsicht nachhaltig.
Beispielsweise werden für Solaranlagen und Batterien wertvolle und seltene Rohstoffe
eingesetzt. Nachdem Förderung und Wachstum der Solartechnik bald auf zwanzig
Jahre Erfolgsgeschichte zurückblicken kann, ist das Recycling alter Anlagen
immer noch eine Herausforderung. Der Anblick klassischer Solarmodule auf den
Dächern und die Windanlagen in den Landschaften erfreuen ebenso nicht das Herz
jedes Architekten und Landschaftsgestalters. Unabhängig von der Tatsache, wie
verletzt Landschaften in den Kohle- und Erdölgebieten sind oder wie große
konventionelle Kraftwerksblöcke in der Landschaft wirken, steht die Frage, ob
wir weiter nur Kritik an neuen Technologien üben wollen oder Anstrengungen
unternehmen, um bessere Lösungen zu finden. Elon Musk – der Gründer von Tesla
und SolarCity – hat sich dieser Herausforderung angenommen und Dachziegel
geschaffen, die wie die natürliche Dachbedeckung aussehen, aber als Solaranlage
wirken. Zukünftig werden auch Häuserwände und Fenster Solarenergie umwandeln.
Es ist auch richtig, dass wir inzwischen
wiederum auf bestimmte Lösungen fokussiert sind. Wir beschäftigen uns intensiv
mit Windenergie, Solarenergie, Bioenergie, Geothermie und Wasserenergie sowie
forschen auch an der heißen Kernfusion. Unsere Umwelt bietet aber weitere
Energiequellen, die wir aktuell übersehen und denen sich nur wenige Menschen
widmen. Physiker kennen hier vielfältige Ansätze, auf die hier nicht
eingegangen werden soll. Wichtig ist nur, dass wir uns den Blick auf neue
Chancen erhalten und neue Technologien nicht zu schnell in das Reich der Mythen
einordnen, weil die Vertreter etablierter Technologien um ihre Pfründe bangen.
Gemeinsame Anstrengungen für die Zukunft und
ein offener Blick nützen der Gesellschaft in ihrer Vielfalt und insbesondere
den Unternehmen beim Ergreifen neuer Wertschöpfungschancen und der Schaffung
neuer Arbeitsplätze mehr, als das Verteidigen alter Stellungen. Im letzteren
Fall mag man national eventuell siegreich sein, aber international den
Anschluss verlieren, womit die Marke „Made in Germany“ gefährdet wäre.
Also machen wir uns doch zu den Sternen auf, um
noch einmal das Eingangsthema aufzunehmen. Auch dazu benötigen wir neue
Energiequellen, denn mit Kohle oder irgendeiner anderen Art von chemischer
Energie werden wir die Raumschiffe sicherlich nicht antreiben. Selbst
Kernenergie wird uns nicht helfen, die nächsten Sterne in überschaubarer Zeit
zu erreichen.
Online
Verwaltungslexikon (2016)
Effektivität, Effizienz. http://www.olev.de/e/effekt.htm (Abgerufen: 15.11.2016)
Prognos (2016). Dezentralität und zellulare
Optimierung – Auswirkungen auf den Netzausbaubedarf. Studie im Auftrag der
N-ERGIE Aktiengesellschaft. Prognos, Energie Campus Nürnberg,
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Berlin und Nürnberg. 07.10.2016
Wolk,
Constanze (2016) Hintergrund:
Hinkley Point C. Energiewende-Magazin. Schönau. Ausgabe 20.06.2016. https://www.ews-schoenau.de/energiewende-magazin/zur-sache/hintergruende-zu-hinkley-point-c/
(Abgerufen: 09.05.2017)
Autor
Andreas
Kießling besitzt als Physiker und Informatiker mit achtjähriger Erfahrung in der
Kommunalpolitik als Ausgangspunkt der Betrachtung regionaler Wirtschaftschancen
seinen Wirkungsschwerpunkt in Beratungs- und Lehrtätigkeiten sowie in der
Projektentwicklung und -leitung zur Verbreitung neuer, nachhaltiger
Energietechnologien in Verbindung mit Informations- und
Kommunikationstechnologien, aber auch zur Schaffung eines Rahmens aus
Energieökonomie und Energiepolitik sowie zur Eröffnung neuer Möglichkeiten der
Gebäude- und Raumgestaltung zwecks Entfaltung subsidiärer Chancen dezentraler
und verbundener Energiekreisläufe.
www.energieorganismus.de
www.energycells.eu
Impressum
Andreas Kießling
Land der Mythen oder der
Chancen
Herausgeber:
Dipl.-Phys. Andreas
Kießling, Rudolf-Diesel-Str. 1F,
D-69181 Leimen
Version 1.0, Stand 09. Mai
2017
Diese
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